Das geraubte Paradies
Gepäck. Beide Waffen mochten im Moment nutzlos sein. Aber später würden sie ihnen noch gute Dienste leisten.
Bevor Jonan selbst durch das Loch kletterte, warf er Denier einen letzten Blick zu. Der Einsiedler hielt nun das Kästchen in der Hand, das er unterm Bett versteckt hatte. Er hob den Kopf und schaute Jonan an. Sie sagten nichts, nickten sich bloß zu. Ein Abschied unter Soldaten.
Erneut schlug jemand gegen die Tür. Der Tisch wurde nach hinten geschoben.
Jonan zog den Kopf ein und glitt nach draußen.
»Kommt, wenn ihr euch traut!«, hörte er Denier im Inneren brüllen. Dann krachte dumpf sein Gewehr, zweifellos eine schmerzvolle Überraschung für den Mann, der vor der Tür gestanden hatte.
Pitlit und Elje hatten sich bereits in den Beiwagen des Motorrads gesetzt, und Carya wartete neben der Maschine. Das schwere Templersturmgewehr hatte sie über die Schulter geschlungen. »Das fährst besser du«, sagte sie.
Mit einem Nicken stieg Jonan auf. Erneut presste er die Lippen zusammen. Seine Seite schmerzte höllisch. Er betete, dass die Wunde nicht wieder komplett aufgerissen war. Vor der Hütte war ein Tumult zu hören, und Denier brüllte seinen Feinden immer neue Schmähungen entgegen. Dennoch würden alle hören, wenn Jonan das Motorrad startete. Er hoffte wirklich, dass es noch funktionierte. Wenn sie sie erst auf sich aufmerksam gemacht hatten und dann nicht von hier wegkamen, waren sie geliefert.
»Wünsch uns Glück«, raunte er Carya zu.
Sie schlang die Arme um seine Hüfte. »Viel Glück«, flüsterte sie.
Er aktivierte den Anlasser. Mit dumpfem Grollen erwachte die Maschine zum Leben. Der Motor stotterte, und einen grauenvollen Moment lang befürchtete Jonan, dass er wieder ausgehen könnte. Behutsam gab er mehr Gas, und gleich darauf gewann das Geräusch der Maschine an Kraft. »Und weg hier«, knurrte er, bevor er die Bremse löste und den Gang einlegte.
Mit einem Rucken setzte sich die alte Maschine in Bewegung. Holpernd rollte sie den Hang hinter der Hütte hinunter und wurde dabei schneller und schneller.
Ameisenhaufen,
ging es Jonan durch den Sinn.
Immer auf die Ameisenhaufen achten
. Vor ihm tauchte einer der falschen Reisighügel auf, und er hielt direkt darauf zu.
»Au Kacke!«, schrie Pitlit, der einen Blick über die Schulter geworfen hatte. »Sie haben uns bemerkt.«
»Dann duck dich und bete«, empfahl ihm Jonan, der sich selbst über den Lenker kauerte, die Augen zusammengekniffen und den unwegsamen Pfad vor ihnen, kaum mehr als ein halb überwucherter Wildwechsel, fest im Blick.
Hinter ihnen peitschte ein Schuss, und eine Kugel pfiff viel zu nah an Jonans Kopf vorbei.
Los, du Mistding. Fahr!
, schrie er in Gedanken die Maschine an.
Sie rauschten am ersten Hügel vorbei, und Jonan vollführte eine scharfe Wende nach rechts, wo er bereits den nächsten erspäht hatte.
Wieder war der Knall eines Revolverschusses zu hören, dessen Projektil irgendwo ins Grüne flog.
Eine Sekunde später und wie zur Antwort wurde der Wald plötzlich von einem gewaltigen Donnerschlag erschüttert. Ein heftiger Windstoß fauchte durch die Bäume. Elje schrie auf, und Carya zuckte hinter Jonan so heftig zusammen, dass dieser kurz den Lenker verriss und sie durch ein Gebüsch rauschten. Schwungvoll trat er auf die Bremse und brachte das Fahrzeug schliddernd zum Stehen. Sie alle drehten sich um und blickten den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Auf der Hügelkuppe stieg eine Wolke aus Staub und Blättern auf. Von der Hütte – und ihren Angreifern – war nichts mehr zu sehen. Die umstehenden Bäume ragten umgeknickt wie Streichhölzer in die Luft.
»Licht Gottes, was hat er getan?«, flüsterte Carya.
»Er hat uns allen die Haut gerettet«, sagte Jonan. Tiefer Respekt für diesen todkranken, zu allem entschlossenen Mann und zugleich Erschütterung über sein Schicksal wühlten sein Innerstes auf. Denier hatte nicht nur seine geliebte Tochter, sondern auch drei völlig Fremde vor dem sicheren Tod bewahrt und ihnen so eine Zukunft geschenkt, wenn auch eine noch ungewisse. Er wünschte sich, sein Tod würde irgendwann einmal ähnlich bedeutsam sein.
Jonan blickte zu Elje hinüber. Das Mädchen starrte stumm zu der Ruine, die jahrelang ihre Heimat gewesen war. Lautlose Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Dein Vater war ein tapferer Mann«, sagte Jonan.
Elje hob den Kopf und sah ihn an. Sie nickte.
»Und er hat dich nicht absichtlich im Stich gelassen. Das da oben.« Er nickte zum
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