Das geraubte Paradies
was machen wir jetzt? Sollen wir hochkommen?«, drang von unten die Stimme Collets herauf. »Wir stehen bereit, euch zu retten.«
»Bleib, wo du bist, du Idiot!«, fuhr Reno ihn an. »Catho hat ein Messer an der Kehle, und das Mädchen richtet einen Revolver auf meine Stirn. Wir haben uns verrechnet.« Er wandte sich wieder an Jonan. »Wie habt ihr von unseren Plänen Wind bekommen?«
»Tja, ihr habt euch nicht nur verrechnet, sondern
gründlich
verrechnet«, meldete sich Pitlit zu Wort, der im Türrahmen des benachbarten Zimmers auftauchte. »Schmiedet nie Pläne gegen einen Straßenjungen. Ihr mögt gut sein im Kühemelken und Kartoffelnernten, aber ich weiß, wie man überlebt – und wie man unbemerkt Leute ausspioniert.«
Reno machte den Eindruck, als hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wäre die Lage nicht so angespannt gewesen, hätte Carya womöglich gegrinst. Ihre Gastgeber hatten sich durch Jonans Templersturmgewehr und sein Auftreten als Anführer ihrer kleinen Gruppe täuschen lassen und Carya, Pitlit und Elje bloß für seine Freundin und zwei Kinder gehalten. Es war nicht das erste Mal, dass man sie unterschätzte. Aber selten hatte es Carya mehr Genugtuung bereitet als heute.
»Also gut«, presste Reno zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ihr habt gewonnen. Ihr könnt gehen. Wir werden euch nicht behelligen.«
»Nicht so schnell«, entgegnete Pitlit. »Ihr wolltet uns Übles und habt versagt. Jetzt seid ihr uns was schuldig. Wir verlangen einen Korb voll Proviant.«
»Gut mitgedacht, Pitlit«, lobte Jonan ihn. »Außerdem will ich den Sicherheitszylinder für mein Gewehr zurück. Und ein Magazin voll mit Munition. Sie müssten doch noch einige Vorräte haben, wenn Ihre Eltern Soldaten waren.«
»Ich habe nie gesagt, dass unsere Eltern Soldaten waren«, stellte Reno klar.
»Versuchen Sie nicht, uns für dumm zu verkaufen«, fuhr Carya ihn an. »Sie besitzen ein Templersturmgewehr. Und Sie und Ihr Bruder ähneln zwei Soldaten aus der Zeit des Sternenfalls, die wir auf unseren Reisen kennengelernt haben. Sie brauchen es also gar nicht zu leugnen.«
Reno schüttelte den Kopf. Seine Miene war eine Grimasse mühsam unterdrückter Wut. »Proviant sollt ihr bekommen, aber die Munition ist zu wertvoll.«
»Wir haben noch sechs andere Leute hier auf dem Hof, mit denen wir verhandeln können«, sagte Carya ohne jedes Gefühl in der Stimme. »Wir brauchen Sie nicht unbedingt.« Sie hob den Revolver noch ein wenig und sah Reno, ohne mit der Wimper zu zucken, an. Ein Teil von ihr erschrak vor ihr selbst. Doch etwas, das mächtiger war als jeder Skrupel, diktierte ihr, dass sie Reno nur mit Härte kleinkriegen würde. Die Attentäterin war wieder in ihr – und sie würde vor nichts haltmachen, um sich und ihre Freunde zu retten.
Einen Moment lang schien es, als wolle Reno erneut aufbegehren. Doch etwas in ihrem Blick sorgte dafür, dass er es sich anders überlegte. »Versprecht mir nur, dass ihr geht und keinem von uns was antut«, grollte er.
»Versprochen«, sagte Jonan. »Sie haben mein Ehrenwort als ehemaliger Templersoldat.«
Ihr Gastgeber nickte, räusperte sich dann und hob die Stimme. »Collet, sag Raina, sie soll einen Korb mit Proviant packen.«
»Hier, sie kann diese Tasche nehmen«, sagte Carya, ließ Deniers leere Tasche von der Schulter gleiten und reichte sie Reno. »Werfen Sie sie einfach die Treppe hinunter.«
Reno gehorchte. »Und, Collet, geh in mein Zimmer und an meinen Schrank. In der obersten Schublade liegt der Sicherheitszylinder vom Gewehr unseres Gastes. In der untersten findest du einen Karton mit Munition. Nimm eine Magazinfüllung heraus.«
»Sie sollen alles in unseren Wagen vor der Tür legen«, befahl Jonan.
»Habt ihr gehört?«, fragte Reno.
»Vor die Tür, alles klar, Reno«, bestätigte Collet.
»Und jetzt wäre es schön, wenn alle da unten verschwinden und uns den Weg freimachen könnten«, sagte Jonan. »Wir wollen doch nicht, dass jemand nervös wird und es unnötigerweise Verletzte oder gar Tote gibt. Am besten gehen alle ins Esszimmer und bleiben dort, bis wir verschwunden sind. Das gilt auch für die Hunde.«
Widerwillig fügten sich die Bewohner des Hofes. Raina holte den Proviant, Collet die Munition und die drei Neffen Renos zogen sich mit den Hunden ins Esszimmer zurück. Langsam bewegten sich Carya, Jonan, Pitlit und Elje nach unten. Carya ließ Reno unter vorgehaltener Waffe vorausgehen. Catho wurde von Jonan mitgezogen. An
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