Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Paradies

Das geraubte Paradies

Titel: Das geraubte Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
Vom Netzwerk:
eines Holzkeils nahm sie einen der beiden Stühle und verkantete ihn unter der Türklinke.
    Fragend blickte Elje sie an.
    »Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, versicherte Carya ihr.
    Das Mädchen deutete auf sich, den Fußboden und zog fragend mit einem Finger über ihre Kehle.
    »Nein, ich glaube nicht, dass sie uns etwas antun wollen. Wenn sie das gewollt hätten, wieso hätten sie sich dann die ganze Mühe mit dem Abendessen und diesen Zimmern gemacht? Ich halte sie für seltsam, aber freundlich. Mach dir keine Gedanken.«
    Elje hob drei Finger, machte eine Geste, als würden ihre Augen aus den Höhlen springen und zeigte dann auf Carya.
    »Oh ja, das habe ich beim Essen auch gedacht«, bestätigte Carya und verzog das Gesicht. »Diese Jungs haben mich echt angestarrt … Irgendwie war das ziemlich peinlich.« Sie verstellte die Stimme und versuchte theatralisch, einen der Söhne nachzuäffen. »Oh, eine Frau! Guckt mal, Brüder, eine Frau. Ich mach mir gleich in die Hose vor Aufregung.«
    Elje lachte, und nichts anderes hatte Carya zu erreichen beabsichtigt. »Na los, wasch dich und krabble ins Bett. Ich schlafe vorne an der Kante.«
    Kurz darauf lagen sie beide im Dunkeln im Bett. Es war ein wenig schmal für zwei Personen, aber trotzdem hätte Carya es im Zweifelsfall immer einer Nacht im Freien oder auf dem modrig riechenden Boden irgendeiner Ruine vorgezogen. Sie fragte sich, wie es Jonan und Pitlit im Nachbarzimmer erging. Sie hatte sie noch eine Weile nebenan leise reden gehört, dann war die Tür auf und zu gegangen, wahrscheinlich weil einer von ihnen ein gewisses Bedürfnis verspürt hatte. Schließlich war Ruhe eingekehrt.
    Von den anderen Bewohnern hörte Carya überhaupt nichts, sosehr sie auch in die Finsternis lauschte. Das ganze Haus war vollkommen still. Nur von draußen vernahm sie gelegentlich den Laut eines Schafs oder einer Kuh, ein Geräusch, das in dieser Einöde ungewöhnlich genug war.
    »Carya«, flüsterte plötzlich eine leise, helle Stimme hinter ihr.
    Unwillkürlich versteifte sich Caryas Rücken. War das möglich? War das wirklich …?
    »Ich vermisse meine Eltern«, flüsterte Elje kaum hörbar.
    Carya drehte sich im Dunkeln um. Im schwachen Licht des Mondes, das durch die Fensterläden schien, sah sie das Mädchen mit weit geöffneten Augen neben sich liegen. Sie schluckte. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass Elje ausgerechnet an sie das erste Wort richten würde, das sie womöglich seit Jahren sprach.
    »Ja«, sagte sie leise und räusperte sich, weil ihre Stimme so belegt klang. »Das glaube ich dir. Ich vermisse meine Eltern auch.«
    »Sind sie tot?«, wollte Elje wissen.
    »Nein«, erwiderte Carya. »Sie leben in einer Stadt südlich der Berge. Das hoffe ich zumindest. Ganz genau weiß ich es nicht. Ich habe, seit wir uns vor Wochen getrennt haben, keine Verbindung mehr zu ihnen.« Sie schwieg kurz und richtete den Blick zur Decke. »Ich bete, dass es ihnen gut geht.«
    »Ich auch«, sagte Elje, bevor sie sich an Carya kuschelte und ihr den Arm um den Hals schlang. Sie mochte abgebrüht sein und die Härten des Lebens draußen in der Wildnis kennengelernt haben. Aber in diesem Augenblick war sie nur ein kleines, einsames Mädchen, genau wie Carya ganz tief in ihrem Herzen manchmal auch.
Wir werden auf dich aufpassen
, versprach sie lautlos, während sie die Umarmung sanft erwiderte. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, wehrte sich jedoch nicht dagegen. In dunklen Nachtstunden wie diesen durfte man weinen. Außerdem bewies es, dass sie mehr war als nur eine gezüchtete und programmierte Mörderin.
    Ein Kratzen an der Tür ließ sie beide zusammenschrecken. Sofort war Carya hellwach. Sie legte einen Finger an die Lippen, bevor sie Elje losließ, sich die Tränen aus dem Gesicht wischte und lautlos vom Bett glitt. Ihr war schmerzlich bewusst, dass sie nur halb bekleidet war, aber daran ließ sich im Augenblick nichts ändern. Nicht, wenn sie vermeiden wollte, dass derjenige, der auf dem Korridor stand, mitbekam, dass sie wach war.
    Erneut kratzte es an der Tür, dann vernahm sie ganz schwach eine gedämpfte Stimme. »Carya.« Im ersten Moment vermochte sie sie nicht einzuordnen, doch der Sprecher identifizierte sich zu ihrer Erleichterung gleich darauf. »Ich bin es, Pitlit. Mach auf. Leise.«
    Carya warf einen Blick zu Elje zurück, die sich im Bett aufgerichtet hatte. Behutsam zog sie den Stuhl unter der Klinke weg und öffnete. Vor der Tür stand tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher