Das geraubte Paradies
aus dem Ort rausführen«, sagte Jonan. »Und uns in den Häusern ein wenig umsehen. Vielleicht finden wir eine bessere Karte als diese Pappdinger da.« Er nickte in Richtung der Ansichtskarten, die Carya hervorgeholt hatte.
»Einverstanden.«
Sie teilten sich in zwei Gruppen auf – Carya und Pitlit sowie Jonan und Elje – und machten sich an die Arbeit, die verlassenen Bauwerke zu durchforsten. Das erste halbe Dutzend Gebäude durchsuchten sie erfolglos. Doch in einem Laden, über dessen Eingang ein verwittertes Schild etwas von »Touristik« verkündete – ein Begriff, der Jonan nichts sagte –, wurden Elje und er tatsächlich fündig. In blassen Metallständern hingen ein paar verblichene Papierbögen, und als er sie auseinanderfaltete, erwiesen sie sich als Wanderkarten der näheren Umgebung. Er spürte, wie sich sein Gesicht aufhellte. »Volltreffer. Glück muss man haben.«
Er setzte sich auf einen der aus Metallrohren und knarrendem Leder bestehenden Stühle, die in einer Art Wartebereich standen, und ließ seinen Blick über die stilisierte Landschaft wandern. Elje gesellte sich wortlos zu ihm und schaute ihm über die Schulter. Mit dem Finger deutete sie auf einen kleinen See, an dem zwei Siedlungen lagen, umgeben von hohen Bergen. Dabei nickte sie nachdrücklich.
»Stimmt, das könnte unser Aufenthaltsort sein«, bestätigte Jonan nach kurzem Kartenstudium. »Wenn das wahr ist, dann …«, sein Blick glitt über eine Straße, die sich ziemlich genau in östlicher Richtung in merklichem Zickzack eine Bergflanke hinaufzog, »… dann … Augenblick mal … dann ist da ein Pass!« Er stieß die Luft aus, die er unwillkürlich angehalten hatte, und ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus, als er sich Elje zuwandte. »Ich glaube, wir haben es geschafft, Elje. Wir haben endlich einen Pass über die Berge gefunden! Los, suchen wir Carya und Pitlit.«
Rasch erhob er sich und eilte dem Ausgang entgegen. Das Mädchen hüpfte neben ihm her, zufrieden mit sich selbst, weil es den richtigen Riecher gehabt hatte.
Da sie sich während ihrer Suchaktion nie weit voneinander entfernt hatten, dauerte es nicht lange, bis Jonan und Elje die beiden anderen fanden. Sie standen an einer T-Kreuzung vor einem Straßenschild. »He, schaut mal«, begrüßte Pitlit sie, als der Straßenjunge sie kommen sah. »Wir haben ein Schild gefunden, das auf einen Pass hinweist. Gut, oder?«
Die Eröffnung nahm Jonan ein wenig den Wind aus den Segeln, aber er fasste sich schnell wieder. »Tatsächlich nicht übel. Aber wir haben noch etwas mehr zu bieten: Elje und ich haben in einem Laden eine Wanderkarte entdeckt, auf der alle Straßen und Wege der Umgebung eingezeichnet sind.« Er wedelte mit dem Papier.
»Pah«, machte Pitlit.
»Zeig mal her«, sagte Carya. »Findest du die Kreuzung, an der wir stehen?«
»Bestimmt. Wartet kurz.« Jonan faltete die Karte auseinander. Er studierte sie einen Moment, bevor er nickte und sie den anderen hinhielt. »Ich denke, wir befinden uns direkt hier, am Südausgang des Ortes. Wenn wir der ausgeschilderten Straße folgen, sollten wir spätestens heute Abend den Pass erreichen. Mit etwas mehr Mut könnten wir es auch über die direkteren Wanderwege versuchen, dabei sparen wir mehr als die Hälfte der Strecke, aber wir riskieren, plötzlich unterwegs den Pfad zu verlieren, weil diese Karte natürlich mehrere Jahrzehnte alt ist. Zumal bei dem Nebel.« Dieses Risiko wollte niemand eingehen, sodass sie sich entschieden, der Straße zu folgen.
Höher und höher ging es an der Flanke der Gebirgskette empor. Die Straße wand sich in Serpentinen aufwärts, und genau wie zuvor, als sie sich dem verborgenen Tunnel genähert hatten, wies auch sie zunehmend Anzeichen von Zerstörung auf. Schon nach einer Stunde Marsch war der Straßenbelag so zerlöchert und von Kratern unterschiedlicher Größe übersät, dass man mit einem Fahrzeug kaum vorangekommen wäre.
Das ist kein Zufall
, erkannte Jonan.
Hier hat jemand absichtlich versucht, die Zugangsstraßen unbefahrbar zu machen. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Nach etwa drei Stunden ließen sie den Nebel hinter und unter sich zurück. Wenn sie zu ihrer Rechten ins Tal schauten, hingen dort nach wie vor dichte Dunstfelder. Doch über ihren Köpfen erstreckte sich ein Himmel aus kaltem Blau. Dürre Nadelhölzer wuchsen entlang der Straße, und in der Ferne erblickten sie die bis auf die Grundmauern zerschmetterten Ruinen
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