Das geraubte Paradies
du? Aus einer perfekten Gensequenz geschaffen. Und deine Entwicklung verlief so prachtvoll. Es fiel mir wirklich schwer, dich gehen zu lassen. Und als wir von dem Verlust des Raketenflugzeugs hörten, war ich untröstlich. Ich hätte so gerne gesehen, wie du dich entwickelst. Und nun bist du hier. Die verlorene Tochter ist zurückgekehrt. So schön, so klug und so eigensinnig, wie ich sie mir immer vorgestellt habe.« Er beugte sich vor, hob die Hand und fuhr damit beinahe zärtlich durch die Luft, so als wolle er über Caryas Wange streichen, wage es aber nicht, sie zu berühren, aus Angst, dass sie sich als Trugbild erweisen und in Luft auflösen könnte.
Carya starrte ihn bloß an. Sie wusste nicht, ob sie sich geschmeichelt fühlen oder beleidigt sein sollte. War sie für Freeman wirklich die verloren geglaubte Tochter, die zurückgekehrt war? Oder freute er sich, ein besonders wertvolles Spielzeug wieder in die Hände bekommen zu haben?
»Ich hätte gerne meine Kette wieder«, sagte sie. »Und Sie wollten mir noch verraten, wo ich mich befinde. Sind wir noch in der Schwarzen Zone? Gehören Sie zur Erdenwacht?«
Freeman blinzelte und nickte. »Ah, ja, natürlich. Du sollst deine Kette bekommen – und auch Antworten auf deine Fragen. Komm.« Er erhob sich.
»Ich darf noch nicht aufstehen«, entgegnete Carya. »Dymond hat gesagt, ich müsse noch zwei Tage warten.«
»Hat er das?« Der Wissenschaftler kam zu ihr hinüber und studierte die Anzeigen auf dem im Rhythmus ihres Herzschlags piepsenden Kasten zu ihrer Rechten. »Hm. Darf ich mir die Wunde mal anschauen?« Er trat ans Bett und tippte mit den Fingern auf dem Kasten herum, der die untere Hälfte des Betts bedeckte. Offenbar gab es dort auch eine Anzeige.
»Tja, also, wie ich das sehe, sind zwei Tage Bettruhe eine deutlich übertriebene Maßnahme. So viel Vorsicht grenzt schon an Böswilligkeit. Die Verletzung an deinem Bein ist zwar noch nicht vollständig verheilt, aber wenn du es langsam angehst, steht einem Spaziergang nichts im Wege.«
Freeman drückte einen Knopf, und der Kasten klappte summend nach links auf. Carya schielte nach unten, um ebenfalls einen Blick auf den Zustand ihrer Verletzung zu werfen. Sie stellte fest, dass ihr linkes Bein bis zum Knie in einer stiefelförmigen Hülle steckte, die eine harte Schale aufwies und oben durch ein Polster eng am Bein anlag. Was innerhalb dieses seltsamen Verbandes geschah, vermochte Carya nicht zu sagen. Sie spürte praktisch nichts. Ihr rechtes Bein war bis zur Hälfte des Oberschenkels nackt, wo es unter dem Saum des Krankenhemds verschwand.
Carya merkte, wie Freemans Blick über ihren Körper glitt. Doch es handelte sich nicht um die Lüsternheit eines alten Mannes, der ein junges Mädchen anstarrte. Vielmehr lag in seinen Augen die Bewunderung eines Künstlers gegenüber einem Kunstwerk, das am Ende besser geworden war, als er es während des Schaffensprozesses gedacht hätte. »Einfach perfekt«, murmelte er. Dann warf er Carya einen schuldbewussten Blick zu. »Bitte verzeih mir. Ich möchte dich nicht in Verlegenheit bringen. Aber du hast dich wirklich hervorragend entwickelt.«
Mit einem Räuspern wandte Freeman sich ab. »Ich hole dir etwas zum Anziehen. Wenn du möchtest, kannst du dich unterdessen frisch machen.« Er deutete auf ein Stück Wand, an dem ein Griff befestigt war. »Dahinter ist eine Waschgelegenheit.«
»Brauche ich nicht … ich weiß nicht … Krücken oder so?«, wollte Carya wissen.
»Das wird nicht nötig sein«, gab Freeman zurück. »Die Manschette schützt und entlastet das Bein. Tritt nur ein wenig vorsichtig auf, wenn du dich bewegst. Wir wollen es nicht gleich übertreiben.«
Vorsichtig erhob sich Carya. Tatsächlich ging es erstaunlich gut. Die Wunde an ihrem Bein reagierte mit einem leichten Stechen auf die Lageveränderung, aber das Gefühl war ein fernes Echo der furchtbaren Schmerzen, die sie verspürt hatte, als die Lichtkanone der tropfenförmigen Flugmaschine sie getroffen hatte.
Einen Moment lang überlegte Carya, ob sie Freemans Worte in den Wind schlagen und versuchen sollte zu fliehen, um nach Pitlit und danach Jonan und Elje zu suchen. Aber sie musste sich eingestehen, dass das völliger Wahnsinn gewesen wäre, solange sie noch verletzt war und keine Ahnung hatte, wo genau sie sich befand. Trotz ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten würde man sie einfangen, bevor sie auch nur das Gebäude verlassen hatte. Und danach durfte sie nicht mehr mit
Weitere Kostenlose Bücher