Das geraubte Paradies
schlimmer sein, als nach Arcadion zurückzukehren, wo nicht nur mein Vater auf mich wartet, sondern auch Großinquisitor Aidalon, der jederzeit entscheiden könnte, den Pakt aufzukündigen, den die beiden geschlossen haben?«
»Nun ja«, sagte Alecander. »Stadtrat Lucian Estarto, der so viel dafür gegeben hat, um Ihre Unversehrtheit zu gewährleisten, mag in Arcadion sein. Aber Großinquisitor Aidalon ist es nicht. Tatsächlich befindet er sich mit dem zweiten Heereszug und einer Leibgarde aus Schwarzen Templern auf dem Weg hierher. Und er wird schon morgen hier eintreffen.«
Kapitel 18
Es dauerte bis zum späten Nachmittag, bis Carya eine gute Nachricht bekam und eine, die sie nicht so richtig einzuschätzen vermochte. Ein kleiner schwarzer Kasten auf dem Regal, den sie zuvor gar nicht beachtet hatte, fing plötzlich an, Musik zu spielen, und als sie hinüberging und ihn verwirrt hochhob, entpuppte er sich als Funkgerät, denn plötzlich drang Doktor Freemans Stimme daraus hervor.
»Carya, hör zu«, sagte der greise Wissenschaftler. »Ich habe mit einem Piloten der Zonengarde gesprochen, dem ich mal einen großen Gefallen getan habe, und er war so freundlich, mit mir hinauf zum Pass zu fliegen. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber wir haben deinen Freund dort oben nicht gefunden. Wir haben mehrere Kreise über der Umgebung gezogen. Er war nicht da. Was genau das bedeutet, kann ich nicht sagen. Eigentlich lebt in der Gegend niemand, der seine Leiche mitgenommen haben könnte. Und selbst wenn er nicht tot, sondern nur schwer verletzt war, ist es auszuschließen, dass er aus eigener Kraft den Pass verlassen hat.«
»Danke, Doktor«, erwiderte Carya mit betrübter Stimme, doch innerlich jubilierte sie. Jonans Verschwinden war zugegebenermaßen kein Beweis für sein Überleben, aber dass er nicht mehr auf der Passstraße lag, gab ihr ein wenig Hoffnung zurück. Möglicherweise war es Elje gelungen, Hilfe herbeizuholen, etwas, das sie Freeman selbstverständlich nie gesagt hätte.
»Es tut mir leid, dass ich dir nichts Besseres berichten kann«, sagte Freeman. »Aber das muntert dich vielleicht auf: Ich konnte Dymond davon überzeugen, deinen jungen Freund Pitlit freizulassen. Er muss wie du ein Armband tragen, braucht aber nicht länger in seiner Zelle zu bleiben. Er ist bereits auf dem Weg zu dir.«
Caryas Stimmung besserte sich augenblicklich. »Das ist wunderbar, vielen Dank.«
»Keine Ursache. Ist sonst alles in Ordnung bei dir?«
»Ich habe mich gefragt, wo ich etwas zu essen herbekommen könnte.« Die Schränke in ihrer Wohnung waren alle leer gewesen.
»Ah, natürlich. Das habe ich ganz vergessen. Ich lasse dir etwas schicken. Hast du besondere Wünsche?«
»Keine Baumrinde und kein kaltes Kaninchen«, erwiderte Carya.
Freeman lachte. »Ich glaube, ich hätte Mühe, so etwas hier zu finden. Aber gut, ich werde daran denken. Ich muss Schluss machen, Carya, ich habe noch zu arbeiten. Ich melde mich wieder bei dir. Vielleicht können wir morgen zusammen Mittag essen gehen, wenn es dir nichts ausmacht, mit einem alten Mann zu speisen. Ich würde zu gerne mehr über dein Leben hören, was du gemacht und was erreicht hast. Danach könnten wir am Krankenhaus vorbeifahren und schauen, ob die Manschette schon abgenommen werden kann.«
Carya willigte ein. So viel Dankbarkeit war sie Freeman für seine Freundlichkeit schuldig. Außerdem würde er ihr vielleicht noch mehr über das Leben in diesem Tal erzählen und darüber, was die Erdenwacht am Hof des Mondkaisers und in Arcadion trieb. Womöglich konnte sie sogar herausbekommen, warum Cartagena Magister Milan und Julion Alecander im Gegenzug Cartagena umgebracht hatte. Wenn irgendein Riss durch die Ränge der Erdenwacht verlief, konnte sie das bei Gelegenheit vielleicht zu ihrem Vorteil ausnutzen.
Sie verabschiedeten sich, und Carya setzte sich auf einen der sündhaft bequemen Sessel vor der Fensterfront am fernen Ende des Zimmers, um auf Pitlit zu warten. Die Sonne senkte sich den weißen Gipfeln der Bergkette entgegen. Ihre schräg einfallenden Strahlen spiegelten sich in den Fassaden der Gebäude. Menschen liefen durch die parkähnlichen Grünanlagen, andere fuhren in ihren komischen eiförmigen Motorwagen die Straßen entlang.
Die Szenerie zeugte von einem Frieden, den Carya selbst in ihrer Zeit als Schulmädchen in Arcadion so nicht erlebt hatte, denn obwohl sie dort behütet aufgewachsen war, hatte man Einschränkungen im alltäglichen
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