Das geraubte Paradies
ihre Geschichte ein. »Und meine Schwester Carya hat mich dazu angestiftet.«
»Habe ich gar nicht«, widersprach sie.
»Hast du wohl. Weil du unbedingt Loraldi sehen wolltest.« Er warf dem Mann einen verschwörerischen Blick zu. »So ein schneidiger Zonengardist.«
Carya verzog beim Namen des verstorbenen Inquisitors aus Arcadion das Gesicht. Er war alles Mögliche gewesen, aber sicher kein schneidiger Soldat. »Na gut«, gestand sie zerknirscht. »Ich war schuld. Und dann hat unser Vater uns die hier verpasst.« Sie hob den Arm. »Damit wir lernen, wo unser Platz ist.«
»Ich verstehe«, sagte der Invitro. Es ließ sich schwer erkennen, ob er ihr die eher seltsam klingende Geschichte wirklich abkaufte oder bloß aus Höflichkeit nicht weiter nachfragte. Er steckte den letzten Apfel in seine Einkaufstasche und erhob sich. »Danke für eure Hilfe. Aber nun muss ich gehen. Ich werde schon erwartet.«
Carya nickte. »Na schön. Auf Wiedersehen.«
»Wiedersehen.« Rasch eilte er weiter.
»Wer hätte das gedacht.« Nachdenklich blickte Carya dem sich entfernenden Mann nach. »Hier laufen überall Invitros herum.«
»Krass«, murmelte Pitlit. »Wie es aussieht, werden sie als Diener gehalten.«
»Ja, scheint so. Ich wette mit dir, dass wir auch in den Fabriken überall Invitros antreffen würden. Es ist genauso wie vor dem Sternenfall. Und weil es den Sternenfall und die Dunklen Jahre in diesem Tal nie gegeben hat, kam es weder zur Eingliederung der Invitros in die Gesellschaft, wie in Francia, noch zu ihrer Verfolgung, wie in Arcadion.«
»Lass uns zu einem der Industriegebiete des Tals laufen, damit wir uns dort mal umschauen können«, schlug Pitlit vor. »Was hältst du davon?«
»Dir ist schon klar, dass wir das eigentlich nicht dürfen?«, wandte Carya ein. »Denk an unsere Armbänder.«
Der Straßenjunge verdrehte die Augen. »Genau deswegen ist es ja so interessant. Außerdem werden diese Dinger doch wohl nicht schon anschlagen, wenn wir uns ein wenig am Rand umsehen.«
Carya schüttelte den Kopf. »Verschieben wir das auf morgen, Pitlit. Mein Bein tut langsam weh. Außerdem ist es jetzt schon zu spät. Es wird bald dunkel. Gehen wir lieber zurück und hoffen, dass uns Freeman mittlerweile etwas zu essen geschickt hat.«
Als sie wieder in Caryas kleiner Wohnung eintrafen, die jetzt irgendwie auch Pitlits Bleibe war, wenngleich es kein zweites Bett gab und er mit dem Sofa vorliebnehmen musste, stellten sie erfreut fest, dass tatsächlich jemand da gewesen war. Der elektrisch gekühlte Schrank in ihrem Küchenbereich war mit Brot, Wurst, Käse und Getränken gefüllt worden. Darüber hinaus stand eine kleine Schale mit Obst auf dem Esstisch. »He, super!«, rief Pitlit und stürzte sich gleich darauf. Plötzlich stutzte er und machte ein paar seltsame Bewegungen, als wolle er etwas sagen, dann aber lieber doch nicht.
»Carya, magst du nicht auch einen Pfirsich?«, fragte er.
Eigentlich war ihr im Augenblick eher nach einer Scheibe Brot mit Käse, aber in der Stimme des Straßenjungen lag etwas derart auffällig Argloses, dass sie sich zu ihm gesellte. »Warum nicht«, sagte sie.
»Der hier sieht besonders gut aus«, verkündete Pitlit. »Und, Mensch, sieh mal, wir haben auch Äpfel und Orangen. Ein Leben wie die Könige.« Während er so vor sich hin plapperte, hielt er Carya einen kleinen Zettel hin, den er zwischen den verlockend aussehenden Obststücken entdeckt haben musste.
»Hm, ja, nicht schlecht. Ich kann mich gar nicht entscheiden«, spielte Carya sein Spiel mit, während sie verstohlen den Zettel anschaute. V
orsicht, ihr werdet überwacht
, stand dort geschrieben.
Es gibt Augen und Ohren in diesem Raum. Redet nur offen, wenn Lärm um euch herrscht. Und haltet eure Armbänder zu. Tut nichts Unüberlegtes, bis wir uns melden. Willkommen daheim, Aurelie Eins.
Einen Moment lang starrte sie die Botschaft nur verdattert an. Wer versuchte hier, heimlich mit ihr Kontakt aufzunehmen? Und woher kannte derjenige ihren »echten« Namen? Gab es irgendeine Art von Untergrundbewegung im Tal der Erdenwacht? Erklärte das die offensichtlich gegensätzlichen Interessen von Cartagena, Milan und Alecander auf Château Lune?
Carya wurde bewusst, dass sie schon ziemlich lange schweigend und wie unschlüssig vor der Obstschale stand. »Ich … äh … glaube, ich bleibe bei dem Pfirsich«, sagte sie und ließ, während sie nach dem Stück Obst griff, verstohlen den Zettel in ihrer Overalltasche
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