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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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rammten sich die Ellbogen in die Rippen. Dann rutschten die grinsenden Gesichter vom Fenster weg und das Dunkel fraß sie auf. Ganz am Ende der Straße hörten sie noch halblaut den einsamen Tenor in der Halle hinter sich her: Dadadamdadamdadam …

    Am nächsten Morgen stand der dürre, grade Mensch in einem Büro. Einen Schreibtisch gab es da, einen Aktenständer und ein unsauberes Handtuch. Und über dem Schreibtischhing ein schläfriges Gesicht. Das war ganz zugedeckt von Schlaf, und nur der Mund war einigermaßen wach. Dabei war er so träge, daß die Unterlippe müde herunterhing. Das schläfrige Gesicht hatte eine Stimme wie Samt, so weich und so angenehm leise. Und die Stimme wehte gähnend auf den dürren Menschen zu, der vor dem Schreibtisch stand. Sehr grade stand er vor dem Schreibtisch und seine staubgrauen Augen sahen durch das schläfrige Gesicht hindurch auf das unsaubere Handtuch. Und er wurde noch etwas gerader, als die wehende, weiche Samtstimme bei ihm ankam.
    Sie sind Nachtwächter?
    Jawohl.
    Wie lange?
    Kriegsende.
    Und vorher?
    Soldat.
    Was?
    Oberst.
    Danke.
    Der dürre Mensch stand wie ein Pfahl vor dem Schreibtisch, regungslos, steif, abgestorben. Nur die grauen Augen sahen an dem Handtuch traurig auf und ab. Und vom Schreibtisch her wehte es wieder samtweich und verschlafen auf ihn zu:
    Heute nacht hat man eingebrochen. In der Fabrik. Sie haben geschlafen.
    Der Pfahl schwieg.
    Na, sondern? wehte es.
    Der Pfahl schwieg.
    Das schläfrige Gesicht schaukelte mißbilligend von links nach rechts.
    Wie Sie wollen. Morgen ist Verhandlung. Sie müssen als Zeuge erscheinen. Dunkle Sache, Herr. Waren Sie beteiligt?
    Das müde Gesicht lächelte süß. Der Pfahl stand sehr grade und schwieg.
    Die Samtstimme gähnte: Gut, wie Sie wollen. Morgen müssen Sie reden. Entweder haben Sie geschlafen. Oder Sie waren dabei. Hoffentlich glaubt man Ihnen. Danke, Sie können gehen.
    Da drehte der dürre Mensch sich um und marschierte zur Tür. Von da aus knarrte er zu dem schläfrigen Gesicht zurück und er hielt den blanken Schädel etwas schief: Ist die Verhandlung öffentlich?
    Da wurde die Samtstimme ganz zärtlich und flüsterte: Ja. Öffentlich, Herr. Öffentlich.
    Öffentlich, wiederholte der dürre Mensch und der Schädel nickte dazu, also – öffentlich.
    Öffentlich, gähnte der Schläfrige noch einmal.
    Dann machte der dürre Mensch die Tür auf und wieder zu und stand draußen. Und drinnen schlenkerte das unsaubere Handtuch leise in dem Luftzug, den die Tür gemacht hatte, hin und her.
    Öffentlich, sagte der Mensch und hielt ein glänzendes Metall in der Hand. Zwei-, dreimal ließ er es knacken. Er sah zwei grinsende Gesichter. Er sah einen Gerichtssaal, der bis an den Rand voll Menschen war. Und die beiden Gesichter grinsten. Und dann grinste der ganze Gerichtssaal.
    Preußens Gloria, sagte er leise, Preußens Gloria. Und die ganze Stadt ist dabei.
    Das Metall in seiner Hand knackte. Dann hob die Hand das Metall hoch und an den blanken Schädel.
    Etwas später lag ein dürrer, grader Mensch wie ein abgebrochener Pfahl stumm auf dem Boden. Daneben lag das Stück Metall. Und der nackte Schädel lag wie ein erloschener Mond in dem halbdunklen Zimmer. Wie ein erloschener Mond. Und über ihm marschierte ein endloses Bataillonzu den Klängen des Preußens Gloria. Defilierte ruhmreich vorbei. Defilierte: Dadadamdadamdadam …
    Oder war es der Regen? Der Regen auf den dunkelroten Ziegeln? Denn es regnete. Regnete ununterbrochen.

Ching Ling, die Fliege
    Sie finden, das ist ein viel zu schöner Name für eine simple Stubenfliege? Oh, dann muß ich Ihnen erzählen, wie die Fliege Ching Ling zu ihrem sonderbaren Namen gekommen ist, und Sie werden ihn dann auch zumindest ganz originell finden. Hören Sie bitte.
    Haben Sie schon mal im Gefängnis gesessen? Verzeihung, natürlich nicht! Aber ich kann Ihnen versichern, daß es gar nicht so schwer ist, hineinzukommen. Das Umgekehrte, nämlich das Herauskommen, pflegt sich im allgemeinen viel schwieriger zu gestalten. Wie ich bei der Verhandlung erfuhr, sollte ich in einem dem Alkoholrausch nicht unähnlichen Zustande irgendwo irgendwann über irgendwen eine faule Bemerkung gemacht haben. Das soll man nie tun. Hamlet mußte auch dran glauben, weil er fand, daß im Staate Dänemark etwas faul sei.
    Hamlet durfte das auch nicht tun, wo er doch – na, das ist jetzt egal. Wichtig ist im Moment, daß Sie erfahren, warum ich die Fliege Ching Ling nannte.
    Ich hockte unter

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