Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
Vom Netzwerk:
dunkel und so einsam und wir stehen so dicht zusammen – genügt das nicht? Laß uns still sein, bitte. Das ist doch auch viel schöner, nicht, du?
    Es regnet, es ist dunkel und einsam und wir stehen dicht zusammen – ja, klar – das ist schön! …
    Nach siebenundzwanzig Minuten:
    Du, der Regen ist ein Engel! Meine Mutter hätte mächtig getobt, wenn sie gemerkt hätte, daß ich mich angemalt habe. Eben siebzehn Jahre geworden und anhübschen wie eine – wie so eine, weißt du, das sagt die Mutter. Jetzt hat der Regen alles abgeleckt und ich brauche mein Taschentuch nicht dreckig zu machen. Ist der Regen nicht ein Engel? …
    Nach elf Minuten:
    Willst du noch nach Hause, Lisa?
    Nee. – Du?
    Mensch, wenn das einer hören würde: Wir wollen beide nicht mehr nach Hause! Ja, du, der Regen ist ein Engel!

Merkwürdig
    I

    Merkwürdig, dachte der Abiturient Hans Hellkopf im Krieg, unser Bataillonskommandeur erinnert mich immer an meinen Studienrat.

    II

    Merkwürdig, dachte der Abiturient Hans Hellkopf nach dem Krieg, unser Studienrat erinnert mich immer an meinen Bataillonskommandeur. Es muß an der Frisur liegen.

    III

    Merkwürdig, sagte der Studienrat Dr. Olaf zu seinem Kollegen, wenn ich unsere Primaner vom Schulhof einrücken sehe, muß ich immer an mein Bataillon denken. Das muß an den frischen, blanken Gesichtern liegen. An den Gesichtern? sagte der Kollege. An den Stiefeln, mein Lieber, an den Stiefeln.

Preußens Gloria
    Der nackte Schädel schwamm wie ein blankgebohnerter Mond unter der blassen Nachtbeleuchtung. Er schwamm durch die tote Fabrikhalle. Und die Nachtbeleuchtung blinzelte wie blasses Gestirn von oben herunter. Unter dem Schädel marschierte ein dürrer, grader Mensch. Er warf die langen Beine hoch vor sich in die Luft. Sein Schritt knallte gegen die hohen, kalten Wände und fiel schallend von der Decke zurück auf den Boden. Es hallte, als ob ein Bataillon marschierte. Aber es war nur ein dürrer, grader Mensch mit langen Beinen und einem kahlen Schädel, der in der einsamen Halle marschierte. Marschierte mit einem kahlen Schädel, der wie ein Messingmond durch das Halbdunkel der nächtlichen Fabrikhalle schwamm, ruckartig, bleich und blankgebohnert.
    Die langen Beine stießen abwechselnd geradeaus in die Luft. Der dürre Mensch marschierte einen vorbildlichen, makellosen Paradeschritt durch das riesige, kahle Rechteck der Halle. Vorwärts stießen die Beine. Sie wurden von dem dürren Menschen hoch in die Luft hineingestochen. Sie marschierten vorbildlichen, makellosen Parademarsch, die langen Beine, die zu dem nackten Schädel gehörten. Und aus dem Schädel, der wie Messing unter der blassen Nachtbeleuchtung glänzte, knarrte eine blecherne Stimme den Marsch von Preußens Ruhm und Ehre, Preußens Gloria: Dadadamdadamdadamdadam – – – –

    Aber dann brach die Blechmusik jäh ab. Ein etwas femininer Tenor kommandierte aus dem Schädel, fuhr wie ein Gewehrschuß auf die Stille los, daß die Nacht erschrocken auseinanderriß von diesem Schrei: Bataillooon – halt! Der dürre Mensch stand unbeweglich wie ein Pfahl in der Halle. Dann kam es wieder aus dem Schädel, Tenor, Tenor, Gewehrschußund Blech: Liiiinks – om. Weit warf der dürre Mensch das rechte Bein von sich weg und drehte seinen Körper auf dem linken Absatz blitzschnell herum. Seine staubgrauen Augen starrten leblos gegen die hohe Hallenwand. In der Wand war ein Fenster, und draußen war die Nacht und sah auf den dürren, graden Pfahl in der Halle. Da kam es wieder aus dem kahlen Schädel, Gewehrschuß in der einsamen Halle, femininer Blechschrei in der schweigenden Nacht: Präsentiiiert – daaas Giwirr! Die Arme des dürren Menschen, die bis dahin steif und leblos am Körper geklebt hatten, wurden hochgerissen und verharrten eingewinkelt vor der Brust. Kein Laut war in der nächtlichen Halle. Aber dann knarrte wieder der Tenor aus dem Schädel, blechern, blechern knarrte er den Marsch von Preußens Ruhm und Ehre, Preußens Gloria: Dadadamdadamdadam …
    Verstört verkrochen sich die Reste der aufgescheuchten Nacht in den Winkeln der einsamen Halle. Und nur zwei alte rotäugige Ratten defilierten an dem dürren, graden Menschen leise pfeifend vorbei – Preußens Gloria. Rotäugige Ratten in der toten Halle. Blechmusik aus einem kahlen Schädel. Preußens Gloria: Dadadamdadamdadam – – – –
    Aber draußen vorm Fenster wurden zwei Gesichter von einem schadenfrohen Grinsen in die Breite gezogen. Zwei dunkle Gestalten

Weitere Kostenlose Bücher