Das Gesamtwerk
einen Gashusten haben vom vorigen Krieg. Oder sonstwas. Die Maurer und die Briefträger, mit dem guten und etwas obeinigen Gang von Leuten, die viel gehen. Die Straßenbahnfeger mit ihrem gebürsteten Uniformstolz. Und mittendrin manchmal ein Kaffeehausgeiger und ein sozialistischer Dichter. Zigarettengrau, langhaarig, mit wüsten Gebärden. Ganz anders. Die wohnen in den engeren Straßen der Stadt, wo die Abende violett sind.
Violett und ganz weich werden abends die Kanten der Steine, die mausoleumskühlen Mäuler der Torwege, die würfeligen Mietblocks, die ergrauten Kasernen, die früher wohl heller waren, die Holzschuppen, die immer noch schief stehn. Und die Lichtmasten, die soldatisch korrekten, stehen sogar ganz verschlafen verloren in dem violetten Geschwimme des Abends. Und dann rascheln die seidenpapierenen Motten und Mücken und das andere strohige staubflügelige Nachtinsektengetier gegen das gelbe Geglimme der Lampen.
Eine Schüssel wird unterm Wasserhahn abgespült. Johannisbeeren waren drin. Kein Fett, denn die Schüssel ist schnell sauber. Man hört es. Sie wird in den Schrank gesetzt. Er knarrt. Er wird zugemacht. Er ist schon alt, denn er knarrt. Dann pischt es von vier Balkons, das Wasser, das über die Betunien gegossen wird. Es pischt von oben auf die Straße. Manchmal kommt auch ein Blütenblatt mit. Angewelkt. Von links nach rechts – von links nach rechts. Dann ist es unten. Morgen früh wird es zertreten. Vielleicht noch heut nacht. Und dann sagt Eine: Bist du jetzt still! Und einKind garrt gegenan wie ein Huhn im Halbschlaf. Halblaut. Und dann hört man, wie ein Aluminiumgefäß auf den Fußboden gestellt wird. Unters Bett womöglich. Der Nachttopf womöglich. Dann geht eine Tür asthmatisch zu. Das Kind, das ruft noch zweimal. Aber dann tutet ein sehr schöner Dampfer (er ist sicher sehr schön!) vom Hafen her. Und in der Wirtschaft bei Steenkamp, da grölen sie heut abend zum vierzehntenmal:
Düüüch – mein stülles Tool
grüüüß – üch tausend Mool – –
Und von all dem wird der Abend immer violetter.
Nun ist er schon so violett, daß man den Rauch, der aus der Pfeife von Herrn Lorenz kommt, gar nicht mehr sieht. Herr Lorenz steht nun vor der Tür. Er ist da eigentlich nur so hingetuscht und dabei etwas verwischt in diesem Abendviolett. Das kommt von seiner blauvioletten Uniform. Denn er ist bei der Straßenreinigung in Dienst, da haben sie die. Eigentlich bleibt von Herrn Lorenz nicht mehr viel übrig in Uniform. Er ist ganz aufgelöst darin. Sie hat ihn verschluckt mit ihrem satten Beamtenviolett. Mit diesem staatlich satten Violett. Und die Messingknöpfe hängen wie blanke Zehnpfennigstücke untereinander in der Haustür. Das ist der ganze Herr Lorenz. Darüber schwimmt ein hellgelber Käse. Das ist der Kopf von Herrn Lorenz. Und da ist manchmal ein rötlicher Punkt drin. Das ist die Pfeife von Herrn Lorenz. Aber nur wenn er zieht, ist da der rötliche Punkt. Sonst ist der hellgelbe Käse allein in der Haustür. Und unter ihm schwimmen wie Zehnpfennigstücke die messingnen Knöpfe. Sechs. Immer drei untereinander. Das ist Herr Lorenz von der Straßenreinigung abends im violetten Hauseingang.
Und neben ihm noch was. Klein und verhutzelt und grau. Mit einer mehlblassen Scheibe darüber. Das ist Helene. Sie kriegt schwer Luft. Helene ist die Schwester von Herrn Lorenz. Alle drei Jahre kommt sie mal rein in die Stadt, um zu sehn, ob der Bruder noch lebt. Und der ist noch immer bei der Straßenreinigung. Nun stehn sie da beide im violetten Torwegmaul. Er in Uniform. Sie kriegt schwer Luft. Vorhin haben sie zum Himmel gesehn, ob Helene noch trocken nach Haus kommt. Wie Groschen, sagte Herr Lorenz, wie lauter Groschen. Er meinte die Sterne. Und dann sagte er plötzlich: Nee du, das mußt du nicht sagen. Das stimmt nicht. Schlecht ist unser Pflaster hier nicht. Das mußt du nicht sagen. Ich feg nun schon siebenunddreißig Jahre lang. Aber schlecht ist es nicht. Ich kenne hier fast jeden Stein. Die sitzen schon gut so. Die laß man.
Es macht aber müde, mein ich.
Gewohnheit, Helene, reine Gewohnheit.
Ich meins nicht direkt, weißt du. Ich meine das bildlich. Symbolisch, verstehst du?
Ach, symbolisch, meinst du, symbolisch?
Ja, übertragen, verstehst du?
Ah, ich weiß, was du meinst. Jetzt weiß ich, übertragen. Symbolisch. Symbolisch ist das Pflaster schlecht, willst du sagen? Ah.
Ja, siehst du. Bei uns draußen tritt man auf die Erde. Da weiß man doch immer, wo man
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