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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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nicht in Frage kam – und ich ihr bei der Entscheidung, welches Restaurant den Ansprüchen ihres Vaters genügen könnte, nicht würde helfen können. Und so hat sie einen Tag lang die Stadt allein danach abgesucht – und sich schließlich für das Sol entschieden, wo wir dann, um es einer Prüfung zu unterziehen, hingingen, eine teure Adresse, etwas für Leute, die essen gehen, aber nicht deshalb, weil sie Hunger haben.
    Aber ich hatte Hunger. Ich habe nie besser gegessen und getrunken als in ihrer Gesellschaft, und nie deutlicher die Verwandlung einer mit der Krankheit ihrer Schwermut kämpfenden Frau in ein freches, angriffslustiges Mädchen erlebt, was vielleicht einfach daran lag, daß sie unter ihr fremden Menschen auf einem Stuhl saß und nun, angesichts eines großzügig mit Tellern und Gläsernund Besteck gedeckten und von Kerzen beleuchteten Tisches, nicht wußte, wohin mit sich, wohin mit den Händen, wohin mit mir, den sie noch nie in einem Ja¸ckett gesehen hatte. Es fiel ihr sichtlich schwer, die Sache durchzustehen. Es hatte sie schon als Tochter die größte Anstrengung (und ihren Appetit) gekostet, bei Tisch nicht einmal husten zu dürfen. Und genau diese Erinnerungen waren es, die sie jetzt wieder heimsuchten. Sie konnte nicht atmen unter Aufsicht, und der einzige Weg, ihr zu entgehen, wäre, ihre Umgebung zu ignorieren und damit unweigerlich Aufsehen zu erregen; was sie in Kauf genommen hätte, aber unterließ, mir zuliebe. Der einzige andere Weg, sich Luft zu verschaffen, war der älteste: angeborene Vornehmheit, dargeboten mit Verachtung – und einem nichtssagenden, unbesiegbaren Ausdruck im Gesicht.
    Aber ganz ohne Aufsehen ging es natürlich trotzdem nicht ab. Sie beherrschte sogar das Spiel, hart an die Grenzen zu gehen, indem sie es ablehnte, sich Feuer geben zu lassen, auch als einer der Kellner bereits mit einem brennenden Streichholz bereitstand. Sie spielte das verwöhnte reiche rechthaberische Ekel. Was den Wein anging, so machte sie dem dafür zuständigen Herrn klar, daß sie darum bitte, solange sie hier der Gast sei, sich selbst einschenken zu dürfen. Entkorken und hinstellen! Und was das Rauchen betrifft, nicht nach jeder ausgedrückten Zigarette den Aschenbecher wechseln (das konnte sie am wenigsten ausstehen: diese Handbewegung, als würden sie mit spitzen Fingern eine Glasscherbe entfernen!). Und nicht zu oft wissen wollen, ob alles nach unseren Wünschen sei. Sie würde sich, wenn sie Wünsche habe,bemerkbar machen. Und noch ein letzter Wunsch, sagte sie, sie ließ nicht locker, die Kerzen, ob sie die Kerzen nicht vielleicht bitte entfernen könnten? Sie sprach mit ihnen, alles Spanier, übrigens in deren Muttersprache.
    Das Personal ließ sich nichts anmerken, obwohl jeder der Angestellten es vorgezogen hätte, uns nicht bedienen zu müssen. Aber wir kriegten bei aller Diskretion, die sie ihrem Metier schuldeten, natürlich mit (wir konnten es auf der Haut spüren), wie sie sich Blicke zuwarfen und, wenn es ihre Zeit erlaubte, kurze Bemerkungen über uns austauschten. Aber auch hier galt: Schönheit ist eine harte Währung. Schönheit schüchtert Männer ein. Sie macht ihnen das Leben schwer. Es macht sie hilflos.
    Die Überraschung im Sol war nicht die Qualität der Speisen oder später die Höhe der Rechnung, sondern Sebastiano, dessen Nachname der Name des Restaurants war, der Besitzer und sein eigener Küchenchef – und die Tatsache, daß er im Rollstuhl saß.
    Greta war, als sie das sah, wie verwandelt. Und ich ahnte, was in ihrem Kopf vorging, und was ich ihr bei Gelegenheit sagen würde.
    Es mußte sich unsere Anwesenheit bis in die Küche herumgesprochen haben, denn er rollte zielstrebig zuerst auf den einzigen Tisch ohne Kerzen und mit einer Flasche Rotwein darauf zu. Ich habe gehört, daß Sie meinem Personal Ratschläge erteilen.
    Die beiden mochten sich, man sah es.
    Wir haben die Sache nur ein wenig vereinfacht und den Tisch entrümpelt.
    Er nahm die Flasche, für die wir uns entschieden hatten, schaute sich das Etikett an und übergab sie einemder Kellner. Dann wollen wir die auch – wie sagten Sie? – entrümpeln. Ich werde Sie etwas anderes probieren lassen. Er wünschte uns noch einen schönen Abend und rollte zum nächsten Tisch.
    Greta schaute ihm nach, sie konnte gar nicht anders. Ein Mann mittleren Alters, ein Großer seiner Zunft, zwei Sterne, auf Wochen, wenn nicht Monate hinaus ausgebucht; es war nur, weil jemand kurzfristig abgesagt hatte,

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