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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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Tropfen.
    Und ich dachte immer, Schriftsteller saufen.
    Es gibt sie, die saufen. Und nicht alle sind Blindgänger.
    Wir versuchten dann beide, sie von der Reise nach Kuba abzuhalten. Ihr aufgebrachter Freund argumentierte, natürlich, politisch und beschimpfte sie dann als unreife italienische Pin-up-Intellektuelle und reiches verwöhntes Kind, und hätte das gerne vor größerem Publikum als nur vor mir getan. Ich ließ ihm den Spaß, ich wollte einfach nur Zeit gewinnen.
    Als Greta ihren Trotzkisten mit der Bemerkung: »Wenn du rumschreist, wirkst du noch niedlicher!« vollends aus der Fassung gebracht hatte, nahm der den nächstbesten Gegenstand, es war, glaube ich, eine Dose mit Kondensmilch, warf nach ihr und verletzte sie an der Stirn. Sie blutete, tat aber weiter nichts. Sie ließ das Blut einfach fließen, ein kleines Rinnsal, das sie, am Kinn angekommen, einfach mit dem Handrücken wegwischte.
    Ich glaube, wir legen jetzt alle erst mal eine Pause ein, sagte ich, was voraussetzte, daß er sich würde beruhigen können. Als er das nicht wollte, ging ich daran, den Störenfried aus meiner Wohnung zu entfernen. Es genügte, daß ich ihm versicherte, ihn zu bedauern, ihm klarmachte, daß er keinen Stich mehr auf der Hand hatte, und keinenim Ärmel, und daß ein Bluff zwecklos sei. Es brauchte nicht mehr als ein Kopfschütteln, damit er sah, daß auch dieses Zimmer eine Tür hatte; und irgendwie sah er inzwischen wohl selbst ein, daß er mit seinem Ausraster seine Abschiedsvorstellung gehabt hatte. An der Tür drehte er sich noch einmal zu mir um und sagte: Aber glaub nicht, daß ich dir einen Gefallen tue, sie dir zu überlassen.
    Tut mir leid, sagte Greta, als ich – allein – zurückkam, und deutete auf den Blutfleck auf dem Boden, es ist sonst nicht meine Art, Spuren zu hinterlassen.
    Glaub nicht, daß ich dir einen Gefallen tue, sie dir zu überlassen! An diesen Satz würde ich noch oft denken müssen. Aber Glaubenssache hin oder her, erst einmal war sie in Sicherheit – und der Abstecher nach Kuba kein Thema mehr.
    Sie machte einen Schritt auf den Käfigwagen zu, blieb nah davor stehen und konzentrierte sich auf den Wunsch, die aus dem Zwischenraum der Eisenstäbe hängende Pranke eines der Löwen zu berühren.
    Vernünftigerweise hätte ich ihre Verrücktheit spätestens jetzt richtig einschätzen, beenden und sie auffordern müssen, vorsichtiger zu sein. Ich hätte sie packen, am Arm nehmen und mit ihr weggehen müssen. Ich hätte handeln müssen, aber ich konnte nicht. Ich stand da und schaute zu. Ich hoffte sogar, daß niemand sie störte, vor allem die Männer nicht, die sich nur nach uns hätten umdrehen müssen.
    Wir haben einander nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Wir waren frei. Es hing unser Leben davon ab, nichts daran ändern zu wollen und über nichts, wasdas betraf, zu reden. Wir wären verloren gewesen, hätten wir nicht gewagt, einander gefährlich zu bleiben.
    Greta, obwohl leidenschaftlich oder, wenn ihr danach war, oft auch einfach nur hinreißend albern, war eine Frau der Trauer, ein ungeschütztes, durch lange zurückliegende, mir nicht bekannte Lebensumstände beschädigtes Geschöpf, leicht zu verwirren und zu entmutigen, wobei sie sich, wenn sie traurig war, sofort in sich zurückzog und dann lange, mehrere Tage und oft sogar Wochen manchmal in diesem Zustand ausharrte. Richtig zu schaffen machte ihr, wenn sie mich im Verdacht hatte, ich hielte sie für gefährdet, womöglich sogar, was ihren Gemütszustand betraf, für ernsthaft krank. Ein nicht ganz ungerechtfertigter Verdacht, obwohl es unter meinen Freunden kaum einen gab, der sich nicht mehr um meinen als um ihren Geisteszustand Sorgen machte. Es gab, gebe ich zu, genug Anhaltspunkte, uns beide für durchgeknallt zu halten! Da saß jemand in einer Ecke meiner Wohnung, nackt oder angezogen, mischte sich in nichts ein, sprach mit niemandem, schaute niemanden an, kritzelte ihren Arm voll oder einen ihrer Schenkel oder übertrug die Muster der eigenen oder meiner Handfläche auf Papier. Sie redete, wenn überhaupt, nur mit mir, und das so, als sei niemand außer uns beiden anwesend. Sie schrieb, wie sie es nannte, Briefe. Es kam vor, daß sie an einem ihrer Briefe Tage, ganze Tage und Nächte hindurch arbeitete, um mir den einen oder anderen dann zum Geschenk zu machen, Briefe, die eigentlich Zeichnungen waren, einige klein wie Schnipsel (mit einem halb geschriebenen, halb gemalten Etwas), andere aufwendig, groß wie

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