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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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richtigen Vater nie kennengelernt. Wer er war? Ein schöner Mann, mehr konnte ich nicht für dich tun, sagte ihre Mutter und verweigerte weitere Auskünfte. Und dann explodierten Bomben. Es gab Attentate. Es gab Streiks. Und es gab die Zeitungen, die darüber berichteten und die sie las. Sie sah Fidel Castro im Fernsehen, wie er eine Rede hielt. Sie sah Che Guevara, der dann nach Angola ging. Sie hatte noch nie eine solche Menge Menschen gesehen, und alle glücklich. Sie war es auch, zum ersten Malin ihrem Leben. Und sie beschloß, sie würde auswandern, und sei es nur, um unter all den vielen schönen Mädchen, die es auf Kuba gab, nicht weiter aufzufallen.
    Warum, fragte ich mich, löste sie aber auch bei denen meiner Freunde, die sie ablehnten, Neugier aus? Einige kamen wohl überhaupt nur noch deshalb zu Besuch, weil sie hofften, sie sei da. Sie war offenbar zu einer Sehenswürdigkeit geworden.
    Ich finde, du übertreibst, sagte Jamal.
    Jeder, der verliebt ist, übertreibt, sagte Klaus. Du benimmst dich zwar wie ein Idiot, aber gut, Kumpel. Macht ja nichts. Es lebe die Liebe. Es lebe der Rock-'n-Roll. Klaus reichte Ritchie den Joint, den dritten heute, und legte sich flach. Ich bin gleich wieder einsatzbereit. Ich mach nur mal kurz die Augen zu, ich hab seit Ewigkeiten nicht geschlafen.
    Ritchie dagegen war hellwach und fuhr sein Programm hoch. Und das hieß, wenn Klaus ausfiel, der es sonst immer war, der die Platten auflegte, The Grateful Dead. Wenn Ritchie die Deads hörte und richtig gut bekifft war, waren seine Chancen, glücklich zu sein, am größten. Das Gitarrenspiel von Gerry Garcia und daneben das von Phil Lesh und hinten der Bass von Bob Weir, und Ritchie war glücklich – und die Welt, wie sie sein sollte; sie war in Ordnung. Alles war in Ordnung, solange Bill Kreutzmann am Schlagzeug saß und T. C. am Keyboard. Nur einer fehlte, und das war nicht in Ordnung. Es war absolut nicht in Ordnung, daß Pigpen tot war, Ron »Pigpen« McKernan, Gott hab ihn selig. Aber wozu gab es Schallplatten?
    Alles in Ordnung, erkundigte sich Jamal und strichihm über die Stirn, um herauszufinden, ob er Fieber hatte. Und wandte sich dann wieder mir zu. Kümmer dich um die Kleine, bis sie wieder okay ist, im Kopf okay, sagte Jamal und begann damit, seine Fingernägel mit durchsichtigem Nagellack zu bestreichen. Und schick sie dann weg. Sie ist zu schwer.
    Was zum Teufel ist los mit dir, sagte Ritchie und schaute mich an, und dann Jamal. Was zum Teufel ist los mit ihm?
    Zieh den Stecker raus, sagte Jamal. Seine Stimme klang sanft und leise. Es war die Stimme, mit der er die Frauen, die ihm gefielen, einschläferte. Es wird Zeit, den Kopf klar zu kriegen.
    Meiner war noch nie so klar wie jetzt. Ich könnte auf dem Rücken einer Hand tanzen.
    Vielen Dank, Eminenz! Gott segne dich!
    An einer der Wände hing ein Foto von ihr. Sollten sie sich damit begnügen, mit ihrem Gesicht (oder was davon unter dem Kopfputz ihrer Haare zu erkennen war!), dem überraschten, feindseligen Blick, dem Mund mit den Lippen und ihrer Nacktheit, ihren Brüsten; ich mußte mich erst daran gewöhnen, sie nicht andauernd in der Hand haben zu wollen.
    Sie war da, sie war nicht da. Ich fragte sie nicht danach. Es sind die Fragen, die alles kaputtmachen. Sie war da, stand auf und war nicht mehr da. Sie ließ als Beweis ihrer Anwesenheit nicht viel zurück, nur ihre Zeichensachen auf dem kleinen, mit einem Tuch abgedeckten Tisch in der Ecke am Fenster, ihrer Ecke, wie sie sagte, Lupe, Skizzenblock, Tuschen, Federn, Stifte. Das Zeichnen schien ihr sicherster Halt. Also, nahm ich an, wird sie irgendwann schon wiederauftauchen.
    Aber glaub nicht, daß ich dir einen Gefallen tue, sie dir zu überlassen . Selbst wenn ich schlief, ging mir der Satz nicht aus dem Kopf.
    Die Schwierigkeit mit Greta war, dem dumpfen Brüten gewachsen zu sein, in das sie verfiel, und das einem, weil man wenig tun, sie nicht ablenken oder aufheitern und also nichts ändern konnte, unweigerlich ebenfalls zu schaffen machte, diesem mit bedrohlich ruheloser Spannung angefüllten Warten (auf was?), das sich in einem Liebesanfall entladen konnte oder dem Entschluß, ihre Sachen zu packen und zu verschwinden.
    Einmal, ein einziges Mal, lud sie mich ein, mit ihr auszugehen. Ihr (nicht leiblicher) Vater hatte seinen Besuch angekündigt, und sie würde mit ihm den Abend verbringen und essen gehen müssen, und das nicht irgendwohin. Klar war, daß alles unter einem erstklassigen Restaurant

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