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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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Zimmer schmückte. Statt insKino ging sie zum Spanischunterricht. Sie las keine Romane mehr. Sie strich ihre Geburtstage aus dem Kalender und ignorierte es, wenn ihre Eltern ihr trotzdem Geschenke machten, Kleinigkeiten, wie sie sagten, die aber, wie jeder sehen konnte, ein Vermögen wert waren wie das von einem Juwelier gefertigte kleine Kreuz an einer Kette. Ihrem Beichtvater, einem Kardinal, der ein Freund der Familie und ein vernünftiger (und, wie man sich erzählte, trinkfester) Mann war, erklärte sie, daß Kirchen für nur einen Gott zu schade seien; an den einen, vor allem an seine wechselnden Stellvertreter auf Erden, glaube sie ohnehin nicht mehr.
    Dem Kardinal genügte eine schlampige Geste, das junge Fräulein zu segnen. Er war ein kluger, gütiger Mann, der wußte, was für ein unsicherer Ort die Erde war, ein Ort der Mühsal und der allmächtigen Lüge.
    Sie hatte ihren Eltern nichts erspart. Sie benahm sich noch rücksichtsloser, als sie es selbst für vernünftig hielt. Sie benahm sich immer noch so. Es roch, wo immer sie auftauchte, nach Pulverdampf – und immer hing der beißende Geruch ihrer Streitlust, ihrer Launenhaftigkeit und Unzufriedenheit in der Luft. Aber Greta war zu diesem Zeitpunkt wohl schon zu krank, um sie über die Gefahren ihrer Krankheit belehren zu wollen. Ich blieb, gerade deshalb vielleicht und aus vielen anderen Gründen noch, und das bis in alle Ewigkeit, verliebt in sie.
    Und danke!
    Danke, wofür?
    Daß ich trotzdem glücklich sein darf.
    Warum hatte sie es getan, das mit dem Jungen? Was war das, eine Mutprobe? Hat sie es getan, um mich zu testen,meine Härte, meine Belastbarkeit, meine Nehmerqualitäten? Darf ich bitten? War es das, was sie unter einer Revolution verstand, unter revolutionärem Elan, wie Günter es genannt hätte? Oder einfach nur das, was Mädchen eben machen, die in Klosterschulen erzogen wurden?
    Sie blutete, aber sie schrie nicht. Sie schien zuerst nur verblüfft über das offenkundige Mißverständnis im Dialog zwischen ihr und dem Löwen. Ratlos wandte sie den Blick wieder zu mir. Ihr gefiel nicht, daß der Löwe ein Idiot war.
    Komm, sagte ich, gehen wir. Ich unterdrückte den Gedanken, daß Greta sich eine Blutvergiftung eingefangen haben und, sollte ich unseren Pakt nicht aufkündigen, daran sterben konnte. Ich hätte sie zu einem Arzt, am besten gleich in die Notaufnahme einer Klinik fahren müssen.
    Der rechte Unterarm, der den Hieb der Pranke abbekommen hatte, war aufgerissen, eine Fleischwunde bis auf den Knochen. Sie konnte aber sowohl die Hand als auch die Finger bewegen. Ihr war nur, wie sie sagte, schwindlig.
    Ich kaufte auf dem Heimweg beim Apotheker nicht ein Antibiotikum, sondern Mullbinden, mit denen ich den Arm zu Hause notdürftig verband. Ich wollte nicht die Wunde, sondern die Wahrheit vor Augen haben. Und die klang nüchtern. Lokale Entzündung, damit begann es. Erreger durchschwammen ihr Blut und sorgten für wechselhaft auftretendes Fieber. Am nächsten Tag Benommenheit und Kopfschmerzen. Am gleichen Tag Erbrechen. Am letzten Tag Halluzinationen. Sie hörte auf,mich zu erkennen. Trank literweise Wasser. Nutzte die Augenblicke der Klarheit nur, um mir, der sie hielt, in die Augen zu schauen. Verzeih, sagte sie, aber ich mach das zum ersten Mal.
    Je mehr sie starb, um so stärker wurde sie. Endlich gab es keinen Zweifel mehr an ihrer Zukunft. Sie war mehr denn je überzeugt vom glücklichen Ausgang unserer Liebesgeschichte. Jede Geste war jetzt endgültig. Es gab kein Tauschgeschäft mehr. Das Fieber, sogar die Schmerzen des Wundbrandes am Arm, paßten zur Grundstimmung ihres Triumphs.
    Ich verfolgte die Stunden ihres Sterbens ohne Furcht, vom Furchtbaren, was geschah, fasziniert. Die durch die fortschreitende und ungehindert sie zerstörende Vergiftung aller inneren Organe verursachte Verlangsamung ihrer Wahrnehmung entsprach nicht nur dem Zeitmaß ihres Gefühls, sondern auch der Intensität, nach der sie sich immerzu gesehnt hatte. Endlich war alles eins: Grausamkeit und Zärtlichkeit, Wahn und Wahrheit, Liebe und Tod.
     
    Es war ein kalter Winter gewesen, ein Winter ohne Freude, ohne jemand, der ihn hätte aufmuntern können. Wer es versuchte, bekam eine Abfuhr. Chuck ließ niemand an sich ran, vor allem niemand, der darauf aus war, seine Seele zu retten – oder, was vielleicht immer schon dasselbe war, seine Gesundheit.
    Er schlief lange, kam selbst Stunden, nachdem er aufgewacht war, kaum aus dem Bett, las wahllos alles,

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