Das Geschenk
nichtssagendes blasses Ding mit einem Pferdeschwanz, ein Mädchen aus seinem Dorf, das verständlicherweise Schwierigkeiten hatte mit dem, was sie miterlebt hatte, fertig zu werden. Von ihr erfuhr er nach und nach dann Einzelheiten. Er habe einen Deal durchziehen wollen, eine große Sache, die ihn hätte reich machen sollen. Er habe zwar Andeutungen gemacht, richtig geredet habe er mit ihr aber nicht darüber. Nur über seine Zukunft, seine Zukunft mit ihr, das Leben, das sie führen würden, wenn er genug Geld gemacht hätte! Er habe ins Musikgeschäft einsteigen wollen, Rockbands entdecken und fördern wollen, Konzerte veranstalten und Schallplatten produzieren und, er habe es ihr versprochen, mitden Drogen Schluß machen wollen. Er habe Berge davon gehabt, im Schrank, unterm Bett, in den Matratzen, überall. Sein Hotelzimmer, eine Absteige, die allein schon zu betreten an Selbstmord grenze, habe wie eine Hexenküche ausgesehen. Er habe, sagte sie, gedrückt, sie habe die Einstichspuren am Arm gesehen, an beiden Armen, aber er wollte damit aufhören. Ich hab es, weil ich ihn gern gehabt habe, geglaubt. Sie schwieg eine Weile. Sie schien über das Gefühl nachzudenken, was es wirklich war, was sie an dem Jungen gemocht hatte, und vielleicht dachte sie daran, was ihr die Erinnerung an ihn noch bedeuten würde, wenn es andere gab, die ihr gefielen, wenn es nach der ersten Liebe noch eine gab, die nächste. Aber vielleicht waren das Gedanken, die nur Chuck durch den Kopf gingen, während er sie anschaute. Er habe, fuhr sie fort, kaum noch geschlafen, sei sehr nervös gewesen und, ganz gegen seine Art, zuletzt immer schweigsamer. Aber von Ihnen hat er gesprochen, sagte sie, und hat mir Ihre Adresse aufgeschrieben. Sie seien Schriftsteller, habe er gesagt, einer, der Bücher schreibt. Er habe ja auch gelesen, viel gelesen. Ja, sagte Chuck, das hat er, sehr viel, wenn auch im wesentlichen immer das gleiche Buch! Sie nannte ihn, wenn sie von ihm sprach, bei seinem Taufnamen. Er war für sie nicht Dante, sondern Erich. Und sie hieß Agnes. Aber so genannt habe er sie nie, sondern – sie zögerte, wurde rot, es war ihr offenbar peinlich – Tiemi. Sie brachte es kaum über die Lippen. Das sei, sagte sie, der eigentliche Grund, weshalb sie gekommen sei, ihn um eine Auskunft zu bitten, ihm eine Frage stellen zu dürfen. Bitte, gern, sagte Chuck. Der Name, Tiemi, es muß irgend etwas bedeuten, sagtesie, aber ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was. Du hast ihn nie gefragt? Doch, hab ich. Und? Er hat gelacht, aber gesagt hat er es nicht. Er meinte, daß ich Sie das fragen solle. Entschuldigen Sie! Tiemmi, erklärte ihr Chuck, sei italienisch und hieße übersetzt: Halt mich! Tiemmi, tiemmi, wie es bei Dante heißt. 3 Halt mich, halt mich! Greta hatte es gesagt, als das Fieber stieg und sie am Ende kaum noch bei Verstand gewesen war; es war eines ihrer letzten Worte gewesen, aber das behielt er für sich. Er sah, wie ihr, jetzt, wo sie es wußte, noch elender zumute war, und sie tat ihm leid; aber nicht so leid, daß er auf den Schluß der Geschichte, das Finale in Amsterdam, hätte verzichten wollen. Sie bat um ein Glas Wasser und erzählte dann, was sie wußte, zu Ende. Am Morgen des Tages, an dem er sich umgebracht habe, sei er noch mit ihr in einen Coffeeshop gegangen, habe eine Cola und drei Kugeln Schokoladeneis und ein rohes Ei bestellt, alles zu einem Brei verrührt und ausgelöffelt. Es wird gefährlich, habe er gesagt, das beste sei, ich würde verschwinden. Aber sie sei geblieben. Dann, auf dem Heimweg ins Hotel, habe er sich in einem Geschäft einen Bohrer gekauft. Ich dachte, sagte sie, er kauft sich, wenn schon, eine Pistole, aber es war ein Bohrer. Und mit dem habe er sich dann … ein Loch in die Schädeldecke gebohrt.
Ob sie, als er gebohrt habe, dabeigewesen sei, war alles, was Chuck noch wissen wollte.
Er hat mich Zigaretten holen geschickt und dabei hab ich mich dann auch noch verlaufen. Plötzlich sahen alle Häuser gleich aus.
Es gab nichts mehr, was Chuck für das früh verwitwete Dorfmädchen mit seinen frommen Augen tun konnte – außer daß er die Schlüsse, die er aus dem Gehörten zog, für sich behielt. Er glaubte die ganze Geschichte mit dem großen Deal nur insofern, als Dante sie aus Rücksicht erfunden haben muß, weil er seinem Mädchen einerseits eine Zukunft mit ihm vortäuschen, sie aber erst einmal loswerden wollte. Was er vorhatte, würde sie nicht begreifen – und dort, wo er hin
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