Das Geschenk
mußte. Er durfte diese Müdigkeit nicht mehr, wie er es gewohnt war, mit Mittelchen, synthetischen wie natürlichen, bekämpfen; er mußte sich, was immer das Ergebnis dieser Kur sein würde, ergeben, die Erschlaffung akzeptieren, sich ausruhen, vor allem die noch immer schwelende Unruhein seinem geschwächten Körper in Ruhe lassen. Und auch das mußte er wieder lernen: sich zu langweilen. Vielleicht halfen da ja diese putzigen kleinen Dörfer mit ihren irgendwie kostümierten Menschen, den tonnenschweren Geranientöpfen unter jedem Fenster, ihren beflaggten Marktplätzen und Andenkenbuden, durch die sie fuhren, Kleinstädte der Provinz, die ihn nie interessiert hatten, nach deren Sicherheit er jetzt aber verlangte. Vielleicht half es, daß es wie eine Strafe war, was er sich da verordnete; eine harte Strafe, wenn ihn die Sehnsucht nach anderen Nächten, denen in großen Städten, überfiel.
Mit New York bin ich durch, erklärte er. Ich hab damit aufgehört!
Die Versuchung, heiraten zu wollen, hatte es für Chuck nie gegeben, und das schon so viele gute solide Chuck-Jahre lang, wie es zurücklag, daß jeder Junge mit dem Mädchen, dem erstbesten, das ihm mehr gestattete als einen flüchtigen kleinen ungeschickten Kuß, nach Schottland durchbrennen wollte, nach Gretna Green, wie der Ort hieß, um es dort, wo sich niemand für Alter, Herkunft oder irgendwelche Papiere interessierte, zu heiraten; und einige taten es tatsächlich, die sich darauf auch noch mächtig etwas einbildeten, gerade so, als hätten sie den Beweis erbracht, das romantische Ideal eines kühnen und starken Liebhabers mit Leben erfüllt zu haben. Eine gesetzlich natürlich ganz und gar ungültige Angelegenheit, und eine Kinderei dazu, auf die Chuck, wann immer er davon erfuhr, mit einer für sein Alter völlig unangemessenen Geringschätzung reagierte. Er geriet richtiggehend außer sich vor Verärgerung. Es war ihm dieseArt, das Glück als Ehepaar herausfordern zu wollen, schon damals einfach nie verlockend genug erschienen. Auch die Geburt eines Kindes würde daran nichts ändern. Er würde, was sonst, weiterleben wie immer, nicht glücklich, aber auch nicht bereit, mit einem, der es war, tauschen zu wollen, zufrieden oder unzufrieden, was ganz auf die Tagesform ankam. Um am Schreibtisch auf Touren zu kommen, war Unzufriedenheit, soviel stand fest, das bessere Benzin. In jedem Fall aber wäre er, das war Chuck klar, unfähig, sich an einen anderen Rhythmus als den eines Junggesellen gewöhnen zu können. Er war durch damit. Nicht jede Schwangerschaft auf Erden ist eine gute Idee.
Er würde zwar auf alles, was jetzt auf ihn zukommen mochte und für ihn neu und ungewohnt und vor Gott, dem Gesetz und dem Finanzamt unwiderruflich eine Tatsache war, neugierig sein – er hatte regelrecht Lampenfieber vor Neugier, war nervös und wurde, wenn er schlafen wollte, von ruhelosen extremen Empfindungen wach gehalten –, aber erst einmal hatte er mehr als mit der schwierigen Wahrheit, sich fortgepflanzt zu haben, mit den Besitzansprüchen einer jungen Mutter zu kämpfen, die ihre eigenen Ansichten hatte, was von Chucks Entscheidung zu halten war, keine Familie gründen zu wollen.
Es fiel ihm erst auf, als ihn eine alte Freundin, mit der er durch die Stadt schlenderte, darauf aufmerksam machte: daß er sein Tempo verlangsamte und manchmal sogar ganz stehenblieb, nur um ein kleines Kind bei seinem Versuch, sich an seine neuen kleinen Beinchen zu gewöhnen, zu beobachten. Sie hatte recht. Er hatte sich für diese niedlichen und immer allzusehr herausgeputztenWinzlinge nie interessiert. Aber jetzt gefiel es ihm. Es machte ihm Vergnügen, zu sehen, wie ein winziges kleines Händchen, unsicher und angstvoll, nach einem Halt an der Hand eines großen Menschen suchte. Es machte ihm die großen Menschen nicht sympathischer, aber es rührte ihn, was er sah.
Sie machte ihn später, als sein Sohn acht oder neun war, auch noch auf etwas anderes aufmerksam. Sie fuhren ins Grüne, zu dritt, eine kleine Spritztour. Chuck am Steuer, sein Sohn hinten, mit unterschiedlicher Begeisterung bei der Sache. Sie sagte es ihm, als der Kleine mal pinkeln mußte. Warum kannst du ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Fällt dir nicht auf, daß du ihm andauernd alles erklären willst? Daß rechts jetzt gleich ein Gehege mit Rotwild zu sehen sein wird, daß links ein berühmter Dichter gewohnt hat, daß das da vorne die Zugspitze ist? Er hat doch selbst Augen im Kopf, und wer
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