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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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wollte, konnte er sie nicht mitnehmen. Sein Name für sie bedeutete nichts mehr. Niemand hätte ihn noch halten, niemand aufhalten können. Er wollte, wovon Chuck überzeugt war, auch nicht sterben, im Gegenteil. Er wollte aus der Gegenwart in die Zukunft springen, wollte durch das Loch im Kopf nach oben entschweben, dem Bleigewicht seiner Sucht entkommen und eingehen in das, was Gläubige meinen, wenn sie vom himmlischen Frieden reden. Man sagt das so, den Geist aufgeben, aber wer weiß, vielleicht hat der Geist im Gegenteil nur den Körper aufgegeben. Der Heilige mit den zwei Körpern! Einer bleibt auf der Strecke, das Unreine, Knochen, Muskeln, Gewebe, Haare, der andere, erlöst, betritt die Himmelsleiter. Der Kopf ist eine Tür, die er aufstoßen wollte. Er war der Gefangene, einer in der Einzelhaft eines suchtkranken Körpers, der ein Loch in eine Wand bohrt, der mit etwas Kontakt sucht, das nicht zu sehen ist. Er wollte eine Stimme hören. Ihm lag nichts an Geld, er wollte nicht reich werden.
    Von jedem Mädchen in meinem Bett gehört die Hälfte dir! Danke, Dante. Das nächste Mal.
     
    Es gab eine Zeit, als Gift ihn gereinigt hatte. Jetzt war es nur noch giftig.
     
    Wenn er sich – es war Ende Dezember und Zeit dafür – etwas für das kommende nächste Jahr vorgenommen hatte, dann das: seine tägliche Zufuhr an Drogen zu reduzieren und jedem, der ihm das Zeug andrehen wollte, so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Er mußte nur, bis es Frühling wurde, durchhalten. Er brauchte den Frühling, wie die Natur ihn braucht. Er brauchte seine Kraft. Und er brauchte sie sofort.
    Er war auf dem Weg zur Toilette an dem Tisch, an dem sie mit einem anderen Mädchen saß, vorbeigegangen und stehengeblieben. Gott sei Dank war er stehengeblieben, denn Chuck hatte gerade etwas von dem Pulver, von dem er die Hände lassen wollte, zugesteckt bekommen und war dabei, sich zu bedienen. Wer immer sie ist, dachte Chuck, sie hat, wenn auch ohne es zu ahnen, eine erste gute Tat vollbracht! War es deshalb nicht vernünftig, das Kokain erst einmal zu vergessen und gleich eine nächste gute Tat von ihr einzufordern?
    Er dachte, noch während er nur vor ihr stand und sie ohne jedes erotische Interesse anschaute (wenn schon, hätte Chuck ihre Freundin, ein dunkelhäutiges Mädchen, mehr interessiert!), über nichts anderes als seinen Plan nach, seine Abhängigkeit von gefährlichen Gewohnheiten einzutauschen gegen den vergleichsweise harmlosen Zeitvertreib, sich mit diesem jungen Mädchen auf die Reise seiner Entwöhnung zu begeben, einem Wesen, zu jung, um mit jener Welt, der Chuck entkommen mußte, schon in Kontakt gekommen zu sein. Was er sich wünschte,war ein gute Fee! Was er brauchte, war die Kraft ihrer Reinheit. Und so träumte Chuck bereits davon, ihre Haut zu liebkosen, das Aufflirren von Sonnenschein auf ihrer Haut! Er würde sie in nichts, was er mit sich (und mit ihr) vorhatte, einweihen.
    Es war spät, und Chuck hatte getrunken. Und der Alkohol hatte das Mädchen in eine Fee verwandelt, was Chuck gefiel. Alles, was er sah, zerfiel – und fügte sich zu einem neuen, anderen Bild zusammen. Er überlegte nicht, ob es recht war oder unrecht, was er vorhatte. Er dachte auch nicht daran, daß genau das, was dieses Mädchen für ihn nützlich machen würde, das war, was sie trennte – und machte sich auch die Konsequenzen dessen nicht klar. Er wollte nur einfach, das war das Programm, mit der guten Hilfe seiner Fee wieder atmen lernen, seine Geschmacksnerven wieder trainieren, seinen Tastsinn, seinen Geruchssinn und seine Potenz. Liebe störte da nur. Für das, was er trainieren wollte, war Sex gut genug. Hier saß das Geschenk einer Gelegenheit, das Glück seiner Genesung.
    Er bat um eine Verabredung. Sie willigte verwundert ein.
     
    Mit diesem Trumpf in der Tasche ging Chuck daran, seinen Entzug bis in die Einzelheiten hinein zu planen, was er noch in der gleichen Nacht – unter Einfluß von Kokain – erledigte. Er notierte es wie ein Buchhalter, den Schlachtplan, die Kampfansage, die Gebote seines Handelns. Kokain? Nichts mehr, nie mehr! Gott möge ihm verzeihen, daß er die Angewohnheit, nichts verkommen zu lassen, noch nicht ganz abgelegt hatte und, währender Nichts mehr, nie mehr! schrieb, die Reste des Pulvers schnupfte, die letzten weißen Spuren. Er ging die wichtigsten Punkte, die es ab jetzt zu beachten galt, durch. Keine Besuche mehr in seinem Wohnzimmer, der Bar. Den Satz »Ich hab damit aufgehört« auswendig

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