Das Geschenk
weiß, was er sieht und wie viel mehr er sieht als wir? Ich darf dir das doch sagen, oder?
Sie durfte, Chuck war dankbar.
Und noch etwas, mein Lieber, nur zu deiner Erinnerung. Keiner redet – und schreibt – so viel über Frauen wie du, und tut es so gern und so ausführlich und mit so entschiedenen und, wie du selbst weißt, nicht immer ganz nachvollziehbaren Ansichten. Aber er kennt diese Welt nicht, die Frauen nicht und noch weniger deine Bücher, er weiß nichts davon. Mach ihn nicht mit all deinem Gerede blind. Früher wurden Buben von Kindermädchen verführt, was wenigstens Sinn machte. Aber es macht keinen, ihn über Kondome aufklären oder, noch schlimmer, ihm etwas über das Temperament zum Beispieleiner Italienerin erklären zu wollen. Ich mag deinen Jungen, und ich mag dich. Aber ich mag Männer mit schlechtem Gewissen nicht.
Seine alte Freundin könnte man am besten so charakterisieren: einmal durch eine Drehtür, und jeder Portier ist in sie verliebt. Eine selbstsicher in sich ruhende, nicht mehr junge Frau, aber um einige Jahre jünger als Chuck. Sie hatten nie ein Verhältnis gehabt, wenn auch die besten Voraussetzungen dafür. Mehr als ein sentimentales Bedauern über eine schöne Unmöglichkeit war nicht drin. Aber immerhin das, eine Vertrautheit, die es ihnen ermöglichte, sich nicht auf die Nerven zu fallen. Mann und Frau als beste Freundinnen! Und es war immer sie, der er, was er geschrieben hatte, zuerst zur Begutachtung übergab. Am Ende war Chuck mehr begeistert von der Qualität ihrer Einwände als von einem Lob.
Chuck rief sie spätabends noch einmal an. Es ließ ihm, was sie gesagt hatte, keine Ruhe. Aber sie lachte nur. Ich war gemein, ich weiß. Du machst das alles nämlich ziemlich gut. Du kriegst das hin. Was beweist, daß selbst Einzelgänger zu knacken sind.
Ich weiß deinen Humor zu schätzen, sagte Chuck, und natürlich deine Ratschläge. Er sah es ja selbst ein. Die freche Unbekümmertheit seiner Urteile, seine wenig schmeichelhaften Kommentare, was Frauen betraf – war das nötig? Wie viel klüger wäre es, er brächte einfach mal einen Satz wie »Ach, diese Sommerwiese da, die würde Mama gefallen« über die Lippen.
Ihr jedenfalls war, wie sie sagte, nicht wohl dabei. Und sie bezweifelte, daß Chucks Sohn wohl dabei war.
Es war auch Chuck alles andere als wohl dabei, weshalber ja noch einmal zum Hörer gegriffen hatte. Es wurde ein langes Gespräch, das vor allem er selbst bestritt. Er sprach über die Unordnung eines neuen Lebens, auf die er nicht vorbereitet war, und die Unzufriedenheit mit sich, den Zweifeln an seiner Begabung, ein Kind auf die Wahrheiten des Lebens vorzubereiten. Früher konnte ich nicht schlafen aus Angst, Vater zu werden, heute fahre ich nachts hoch mit der Angst, mich selbst zu enttäuschen. Welche Mühe es einen gekostet hat, selbst ein halbwegs eigenes Geschöpf zu werden – und dann ist da plötzlich noch eines, ein zweites, eines aus eigener Produktion auch noch; was erst einmal nicht leicht zu verdauen ist. Wie viel Unvollkommenheit verträgt, was gut gelingen soll?
Chuck hatte sich irgendwann leer geredet und war am Ende nicht mehr sicher, ob er nicht alles verwechselte, Gedanken mit Gefühlen, eine Mutter mit einem Vater.
Hört sich gut an. Noch eine Komödie der Verwechslungen.
Ich bin wohl einfach nicht das, was man einen geborenen, einen authentischen Vater nennen könnte.
Zu deinem und seinem Glück. Und wenn du jetzt hier wärst, würde ich mit dir darauf anstoßen. Hör einfach auf, deiner Freude, ein Kind zu haben, zu mißtrauen. Dich deprimiert, daß du dich fortgepflanzt hast. Weil es das ist, was gewöhnliche Sterbliche eben tun. Und du nicht wie sie sein willst. Es ist jedesmal, wenn du deinen Sohn siehst, nur ein kurzes Gastspiel. Die Zeit, die ihr miteinander verbringt, ist knapp, was dich unter Druck setzt! Du willst die Zeit nutzen. Du willst gut sein. Du willst alles geben. Aber du bist nicht auf einer Bühne, Chuck. Unddein Sohn ist kein Publikum. Laß ihn spüren, daß du da bist. Das genügt. Die Liebe findet sich schon alleine zurecht.
Und sie sagte ihm noch etwas, etwas über die Art, wie Chuck über die Mutter redete und was ihr daran nicht gefiel, wie selbstgerecht es sich anhöre, was er manchmal so von sich gebe. Sie sagte ihm, daß diese junge Frau nämlich, soweit sie das beurteilen könne, ihre Sache offenbar ziemlich gut mache und er gut daran täte, das anzuerkennen, auch ihr gegenüber. Das Kind
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