Das Geschenk
hatte darin bestanden, das Wort Schwanz , das ja mehr als nur sehr häufig vorkommt, wie ein ganz normales Wort zu behandeln, ein Wort wie jedes andere. Wie Kopf, Auge, Arm.
Chuck gab ihm recht. In der Tat, das war das Problem gewesen. Da hast du einen, der nur von der Krankheit redet, von den Schmerzen und seinem Schwanz (warum sollte sich einer, der auf der Straße groß geworden war, gewählt ausdrücken?), auch in einer Kirche, vor Gott also, von nichts als von seinem Schwanz reden zu lassen. Die andere Schwierigkeit war, einen Mann, der kaltblütig gemordet hat, eigenhändig, oder Morde in Auftrag gegeben hat, nicht unsympathisch erscheinen zu lassen. Und dann, ihn verrückt werden zu lassen, ohne daß die Sprache gleich mit durchdreht.
Das ist gut gemacht. Man weiß nicht, wann er aufhört,mit Gott nur in Gedanken zu reden und wann er laut und deutlich wird.
Und wie laut er wird. Er hat eine Stinkwut auf den Kerl. Aber der schweigt.
Gott schweigt, ja.
Chuck hatte das schon immer imponiert: die Genauigkeit, mit der er las, seine Geduld, die Unbestechlichkeit seines Urteils, sein Verständnis für die Schönheit eines Satzes. Und genug Humor hatte er auch noch, sich für die Defizite zu entschuldigen, was seine Kenntnis von Frauen anging, eine Anspielung auf ein anderes Manuskript, das Chuck jüngst abgeliefert hatte. Anders gesagt: sich diesen Mann in der Umarmung mit einer Frau vorzustellen verlangte Phantasie; und verursachte wahrscheinlich Kopfschmerzen! Man ließ es besser sein. Er fühlte sich nur mit einem Buch in der Hand in Sicherheit – diese elenden Bücher, wie er sie liebevoll nannte.
Die Liebenden der Literatur! Die Liebe dieser Liebenden, verwandelt durch Erfindung! Liebe pur sozusagen! Die gemeine, alltägliche Liebe, die Liebe, wie die Wirklichkeit sie anbietet, wie sie die Menschen beschäftigt, sie unterhält, quält, leiden und verzweifeln läßt, die Liebe ohne das Geschenk ihrer Idealisierung war nur die Parodie auf wirkliche Gefühle. Wir haben, was wir gelesen haben, in der Hand wie die Hüfte, die wir umfassen, wie die Frau, deren Hüfte dem Druck nachgibt oder (»Nein, Liebling, nein!«) eben nicht, wie die Geliebte, die den Hörer nicht mehr abnimmt. Erschlagen wir sie mit der Seite, die wir umschlagen! Sein Vertrauen in die Literatur war grenzenlos. Wer liest, will ins Offene; wer liebt, auch!
Das Leben ist komisch, aber selten originell, leider. Und es ist selten sehr lebendig. Am allerwenigsten ist es natürlich, so wie es für einen Wanderer natürlich ist, den Horizont im Blick zu behalten, für einen Bergsteiger den Gipfel, für den, der liebt, die Liebe, die ganze Liebe, alles, und mehr als alles. Es ist, was wir wirklich nennen, eine grobe, stümperhafte Version davon, einer Kunst ohne Künstler vergleichbar, hingeschmiert, unleserlich. Das Leserliche, der Urtext menschlicher Leidenschaften, steht in den Büchern. Dante läßt Paolo und Francesca ihre Liebe entdecken in Kenntnis dessen, was beide kennen, was sie gelesen haben, Verse, die sie einander auswendig aufsagen können. Emma Bovarys Liebesglut war, wie man nachlesen kann, durch ihre Lektüre ziemlich gewöhnlicher Liebesgeschichten in Zeitschriften entfacht worden. Puschkins Tatjana labte sich an der verführerischen Illusion süß erregender Romane. Jeder dieser Liebenden hat nur einen Zeugen, mich, seinen Leser. Mit mir ist er allein und gestattet mir deshalb das Recht, alles wissen zu wollen.
Er war, was Gefühle anging, ein Schwärmer, aber kein Romantiker. Er würde für keine die Hände aus den Hosentaschen nehmen, für das Mädchen Lolita nicht, und für Frau Karenina auch nicht. Für die beiden Russen jedoch, den amerikanischen Russen Nabokov und den russischen Russen Tolstoi, würde er sich, da war Chuck sich sicher, sogar die Ärmel hochkrempeln.
Er liebte es, mit der Hand über eine bedruckte Buchseite zu streichen, über Sprache, über Stil! Die Klarheit des Schriftbildes, die Ordnung der Zeilen, ihrer Anordnung auf jeder Seite, eingefaßt in Ruhe! Wie ihn dasglücklich machte! Einer Frau etwas von den Augen ablesen? Wenn ich das nur könnte, stöhnte er. Wenn ich einer in die Augen schaue, sehe ich Rechtschreibfehler und fehlende Kommas.
Sogar dessen leichtes Stottern mochte er, wenn er sprach.
Stottern! Chuck hatte das als Kind selbst mal gehabt, aber die fünf Minuten, die er einem gähnenden Gorilla zugeschaut hatte, hatten ihn kuriert.
Chuck erinnerte sich an ein Gespräch mit seinem Freund
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