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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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natürlich, sagte er, selbstverständlich ganz Ihre Sache, ob Sie zu- oder absagen wollen, aber der Mann, zumindest seine Stimme, habe sich, soweit er das beurteilen könne, am Telefon keineswegs unsympathisch angehört.
    Das tun Stimmen, die man durchs Telefon hört. Gib Schneewittchen den Hörer in die Hand und sie klingt wie die Garbo.
    Viel fiel Chuck dazu nicht ein. Er wußte einfach nicht, wie er reagieren, was er seinem Freund antworten sollte. Haben Sie nicht einen netten Dichter auf Lager? Einen, der nette Gedichte schreibt? Etwas zum Thema, muß aber nicht sein? Was für ein Thema? Wie kamen sie ausgerechnet auf ihn? War er empfohlen worden, von wem? War das alles, was ihm als Schriftsteller gelungen war, nicht ernst genommen zu werden – oder eben ernst genommen zu werden von den total falschen Leuten? Und das Publikum, wollte Chuck wissen, was ist damit? Was sind das für Leute?
    Frauenärzte mit ihren Frauen, soweit er das verstanden habe. Die Firma, die das alles bezahlt, wünsche sich für sie ein wenig etwas Besonderes, etwas gehobene Unterhaltung, nicht viel, nichts allzu Anspruchsvolles natürlich, das Richtige eben für den Anlaß. In der Regel sei es so, daß die Leute gerne lachen.
    Was Chuck noch weniger komisch fand. Was für ein Anlaß?
    Na ja, was weiß ich! Eine Feier. Eine gesetzte Tafel. Ein Essen. So was findet doch am Rande von Ärztekongressen immer irgendwo statt.
    Und der Gastgeber, das heißt der, der das zahlt, ist ein Pharmakonzern?
    Das vermute ich, ja.
    Pharmakonzerne und Ärzteverbände, Händler und Heiler, rund um die Uhr damit beschäftigt, für die Medikamente, die sie produzieren, Krankheiten zu erfinden. Eine beschämende Allianz.
    War es nicht Huxley, der gesagt hat: Die Medizin ist so weit fortgeschritten, daß niemand mehr gesund ist?
    Was dann, weil sie reich werden dabei, die einen wie die anderen, natürlich gebührend gefeiert werden muß.
    Ich bin ganz Ihrer Meinung. Sehr reich werden.
    Stinkreich. Bevor sie alle der Teufel holt!
    Chuck wurde schlecht bei der Vorstellung, zwischen Hauptgang und Dessert den Dichter zu geben, auch wenn er keine Ahnung hatte, was genau für ein Publikum das sein würde, Frauenärzte. Er kannte keine. Wenn er Beschwerden hatte, egal welche, ging er jedenfalls nicht zu einem von ihnen. Er erinnerte sich, das war alles, an den Besuch bei einer Fachärztin für Urologie, in deren Praxis er sich Handgriffe gefallen lassen mußte, die ihm Herzklopfen verursacht hatten, und auf dem Grund seines Herzens die altbekannten, üblichen Unsicherheiten eines Mannes, der sich der Befehlsgewalt einer Frau ausgeliefert sieht und, buchstäblich bis aufs Hemd, seine Selbstachtung verteidigt. Trotzdem dachte er gern daran zurück. Eine Praxis in einem der vornehmeren Vororte Münchens, ein Durchschnittstag, der Himmel weit weit weg. Vielleicht wäre genau das die richtige Geschichte für Frauenärzte und ihre Frauen, die Geschichte seiner Demütigung, der Demütigung so vieler Männer seines Alters, und seiner vielleicht ebenfalls altersbedingten, in jedem Fall aber törichten Hoffnung, daß sie für die Minuten, auf die es ankam, seine Geliebte werden würde, was den Glücksfall, daß sie sich verführen ließ, voraussetzte; die handelnden Personen natürlich der Obhut erfundener Namen anheimgegeben.
    Nicht gerade umwerfend aufregend, wie sein Freund am anderen Ende der Leitung meinte. Die übliche Sache,nehme ich an, eine, unter der eben auch Schriftsteller leiden, sogar die Großwildjäger unter ihnen.
    Unter was? Der Vorstellung, Frauen erlegen zu wollen?
    Inkontinenz. Impotenz. Was noch? Angst vor einem Tumor, einem Karzinom. Kennen Sie den Brief, den der junge Proust an einen gewissen Linossier schrieb, einen Arzt und Kollegen seines Vaters? Haben Sie einen Moment noch Zeit?
    Hab ich, versicherte Chuck und hörte, wie er den Hörer weglegte und aufstand, um nach einem Buch zu suchen, eines von Tausenden, die ringsherum in den Regalen oder in schwankenden Stapeln auf dem Boden standen. Soweit war Chuck, was Proust anging, zumindest informiert, daß der nie eine Frau auch nur berührt, geschweige denn umgelegt hatte. Ob er seiner Haushälterin, der treuen, alten Celeste, und sei's nur zum Dank, die Hand gegeben hatte, auch nur einmal?
    Hier, sagte sein Freund, und Chuck hörte das Umblättern in einem Buch. Warten Sie, ich hab's gleich. Ich hab mir diese eine Stelle nämlich in dem Band mit seinen Briefen extra mit Bleistift angestrichen. Er suchte

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