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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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zurechtfinden.«

    »Wozu brauchen wir dieses Ding? Wir können uns nach dem Stand der Sonne richten.«
    »Nicht, wenn dichte Wolken oder Nebel uns die Sicht versperren.«
    »Was ist der Grund dafür, daß der Löffelgriff immer in südliche Richtung zeigt?«
    »Die Splitter des Magneteisensteins drehen sich immer in die Nord-Süd-Richtung. Sie können nicht anders, es ist ihr Wesen.«
    »Wäre es das Wesen der Menschen, nicht anders zu können, als im Tao zu leben, hätten die Splitter des Magneteisensteins niemanden interessiert. Und niemand hätte eine Maschine wie die Armbrust in deiner Satteltasche erfunden, mit der man Menschen mit größerer Zielsicherheit töten kann als mit Pfeil und Bogen. Erst haben die Priester und Besserwisser die Menschen des Altertums so sehr voneinander entfremdet, daß sie sich schließlich gegenseitig zu töten begannen. Dann haben die Könige, die den Priestern folgten wie eine Seuche der nächsten, Gesetze erlassen, die das Töten unter Androhung der Todesstrafe verboten. Schließlich trieben sie die Menschen in Kriege, in denen sie nicht nur töten durften, sondern töten sollten. Und diejenigen, die nicht töten wollten, wurden von denen ermordet, die töten sollten und wollten. So ist es bis heute geblieben. Wenn ein Mann ein Pferd stiehlt, so wird er hingerichtet. Wenn er ein Reich stiehlt, so wird er Fürst! Könnte die Verwirrung der Menschen noch größer sein?«

    »Ich weiß nur«, erwiderte Min Teng, »daß die Menschen im allgemeinen sich nicht für verwirrt halten. Die meisten rühmen sich ihres Verstandes, ihrer Klugheit und ihres Wissens.«
    Tschuang Tse machte eine geringschätzige Handbewegung. »Was ist das für ein Verstand, der das Tao nicht verstehen kann? Ein verständnisloser Verstand. Was ist das für eine Klugheit, die sich ihrer Beschränktheit nicht bewußt ist? Eine unwissende Klugheit. Sich vor Dieben zu schützen, die Kisten aufbrechen, Taschen durchsuchen und Kästen aufreißen, indem man Stricke und Seile darum schlingt, Riegel und Schlösser daran befestigt, das ist es doch, was die Welt Klugheit nennt. Wenn nun aber ein großer Dieb kommt, so nimmt er den Kasten auf den Rücken, die Kiste unter den Arm, die Tasche über die Schulter und läuft davon, nur besorgt darum, daß auch die Stricke, Riegel und Schlösser gut halten. Und was ist das für ein Wissen, das zur Erfindung einer Tötungsmaschine wie der Armbrust führt? Es ist ein Wissen, das nicht weiß, was es tut: ein weisheitsloses Wissen. Wissen, das keine Weisheit in sich trägt, schadet dem Menschen und wendet sich auf lange Sicht gegen ihn.«
    »Es kann uns aber auf kurze Sicht nicht schaden, daß ich Armbrust und Schwert habe und beide zu handhaben weiß. Überall im Land treiben Wegelagerer und Räuber ihr Unwesen, die keine Achtung vor unserem Besitz und Leben haben und nur die Sprache der Waffen verstehen.«
    »Kamst du nicht auch als ein Räuber zu mir, der mir
mein Leben rauben wollte? Und hatte ich eine Armbrust oder ein Schwert, um mich zu verteidigen?«
    »Du hattest andere Waffen: deine Furchtlosigkeit, deine Gelassenheit. Du hast mich mit deinen Blicken und Worten überwältigt. Das könnte dir auch mit anderen Räubern gelingen, sofern sie dir die Zeit dazu geben. Aber warum sollten sie das? Ihre Pfeile treffen dich aus dem Hinterhalt, bevor du den Mund öffnen kannst.«
    Tschuang Tse schien eine Entgegnung auf der Zunge zu liegen, doch er zog es vor zu schweigen.
    Nach einer Weile erblickten die beiden Reiter in der Ferne die Häuser eines Dorfes. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, ein milder Wind wehte. Es war einer jener angenehmen Sommertage, an denen die Luft klar und weder zu kühl noch zu heiß ist. Einige kleine weiße Wolken schwebten am Himmel, an dem ein Raubvogel seine Kreise zog. Im Licht der Mittagssonne strahlte die leicht hügelige Gegend Heiterkeit und Frieden aus.
    Min Tengs geheime Befürchtung, daß Tschuang Tse sich als ungeübter Reiter erweisen könnte, hatte sich als unbegründet herausgestellt. Der Mann, der vom Alter her sein Vater hätte sein können, saß sicher im Sattel und schien den Ritt zu genießen. Seine Miene drückte Freude über die vielfältigen Reize der Landschaft aus, seine Blicke schweiften unermüdlich umher. Er wirkte so gebannt und aufmerksam, als würde er die Sträucher und Bäume, die Gräser und Blumen am Wegesrand zum ersten Mal in seinem Leben sehen, wobei er einem staunenden
Kind glich, das sich im Erkunden

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