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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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Schutz vor den Listen und Winkelzügen der Menschen bot, die sie beherrschen wollten. Es ist nicht schwierig, reine Herzen in die Irre zu führen. Gerade ihre schönste Eigenschaft, die Arglosigkeit, kann ihnen leicht zum Verhängnis werden.«
    »Das leuchtet mir ein«, sagte Min Teng. »Aber warum genügte denen, die sich als Priester aufspielten, um die Einfältigen zu beherrschen, ihr Leben im Tao nicht
mehr? Warum waren sie nicht mehr damit zufrieden, im Augenblick zu leben, in vollkommenem Einklang mit den Gesetzen der Natur?«
    »Irgend etwas muß sie aus der Klarheit in die Verwirrung getrieben haben, mit der sie dann die anderen Menschen ansteckten wie mit einer Seuche. Vielleicht genügte ihnen die schlichte Einfalt ihres Daseins nicht mehr. Sie strebten nach Höherem, ohne zu ahnen, daß es nichts Höheres gibt, als in Einklang mit dem Tao zu leben. Sie müssen das Wissen um den höchsten Wert ihrer Lebensweise verloren haben, sonst hätten sie niemals das Tao verlassen. Ihr Ich erwachte und redete ihnen ein, daß sie besser, klüger, weiser als die anderen Menschen seien. Mit dem Erwachen ihres Ichs begann das Unheil, unter dem die Menschen seitdem leiden. Möglicherweise haben die Priester irgendwann den großen Verlust bereut, den sie sich selbst zugefügt hatten, wie jener Mann, der seine Frau sehr liebte, sich aber nach einer anderen Frau sehnte, in der Hoffnung, eine noch größere Liebe zu erleben. Kennt ihr seine Geschichte?«
    Yu Lin und Min Teng verneinten.
    »Dieser Mann machte sich auf die Reise, um zu finden, wovon er träumte, während seine Frau traurig, aber hoffnungsvoll auf seine Rückkehr wartete. Auf seinem Weg lernte er viele Frauen kennen und manche lieben, doch keine, die er so sehr liebte wie seine Frau – und keine, die ihn so sehr liebte wie sie. Als er nach fünf Jahren mit einem Schlag die Sinnlosigkeit seiner Suche erkannte und sich auf die Reise nach Hause begab, fand
er seine Frau nicht mehr dort vor, und niemand konnte ihm sagen, wohin sie gezogen war. Ein großer Schrecken durchfuhr ihn, denn er wußte nun, daß er die Frau seiner Träume bereits gefunden hatte, ohne sich dessen bewußt gewesen zu sein. Doch seine Einsicht und seine Reue kamen zu spät. Seine Tränen waren so zahlreich wie die Tropfen des Morgentaus, aber sie konnten seine geliebte Frau nicht zurückrufen. Der arme Mann, der sein Glück nicht mehr zu schätzen gewußt und sich dadurch ins Unglück gestürzt hatte, verbrachte den Rest seines Lebens damit, seine verlorene Frau zu suchen, aber er fand sie niemals wieder.«
    »Woher weißt du, daß die Menschen des Altertums eins mit dem Tao waren?« fragte Min Teng.
    Tschuang Tse lächelte. »Meine Seele erinnert sich gut an diese Zeit«, sagte er, erhob sich und stieg auf sein Pferd.
    Min Teng und Yu Lin taten es ihm nach.
    Nachdem sie eine Weile geritten waren, fiel Yu Lin auf, daß ein Lächeln auf Tschuang Tses Gesicht lag, ohne daß sie einen Grund dafür erkennen konnte, und ihr kamen die schönen Worte in den Sinn, die Kun Liang ihr einmal gesagt hatte: Im scheinbar grundlosen Lächeln offenbart sich die Natur der Seele.

VOM NUTZEN DER NUTZLOSIGKEIT

    Nach einem langen und zügigen Ritt, der sie ihrem Ziel ein gutes Stück näher gebracht, aber auch matt und hungrig gemacht hatte, beschlossen die Flüchtlinge um die Mittagszeit, sich eine Rast zu gönnen. Als sie zu ihrer Rechten einen prächtigen Ginkgo sahen, lenkten sie die Pferde auf ihn zu, um ihre Ruhepause unter seinem Blätterdach zu halten.
    Sie holten den Reiseproviant, den Kun Liang ihnen beim Abschied mitgegeben hatte, aus ihren Satteltaschen, setzten sich ins Gras und stillten schweigend ihren Hunger mit Reis und Hirsebrei, getrocknetem Fisch und frischem Obst, wozu sie Wasser aus ihren Feldflaschen tranken.
    Die Vögel in der Krone des Baumes hatten ihr aufgeregtes Zwitschern weitgehend eingestellt, mit dem sie auf die Ankunft der Rastsuchenden reagiert hatten.

    »Manchmal frage ich mich«, sagte Min Teng, »ob Tiere miteinander reden können.«
    Yu Lin lächelte. »Natürlich reden sie miteinander, wie wir, nur in ihrer Sprache. Als wir uns unter dem Baum niederließen, haben sie über unser Eintreffen geschimpft, denn wir haben ihren Frieden gestört. Nun haben sie sich beruhigt und hoffen darauf, daß wir bald wieder verschwinden, damit sie sich an den Essensresten gütlich tun können, die wir ihnen hinterlassen.«
    »Aber sind sie auch zu richtigen Gesprächen fähig – wie wir

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