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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Trauererlen,
    Sonst wird nur schläfernd Dunkel dich umbetten
    Und deiner Seele wache Qual ersticken.
    Es war furchtbar, mit dem Mann, dem dieser Text wichtig war, nicht sprechen zu können, ihm nicht sagen zu können:
Ich habe es getan, weil es das Natürlichste der Welt für mich war.
Ich konnte nicht anders.
Aber stimmte das überhaupt?
    Ein unerträgliches Verlangen überkam Reuben, das Verlangen nach der Kraft, die er in Wolfsgestalt hatte. Die Ruhelosigkeit machte ihn fast wahnsinnig.
    Der Wind peitschte den Regen gegen die dunklen Fenster. In der Ferne krachten die aufgepeitschten Wellen an den Strand.
    Laura stand ruhig und geduldig neben der Lampe, den Gedichtband in der Hand. Sie betrachtete das Cover, dann sah sie Reuben an.
    «Komm mit», sagte sie. «Ich will etwas nachsehen. Vielleicht habe ich mich geirrt.»
    Sie legte das Buch beiseite und führte Reuben durch den Hausflur zum großen Schlafzimmer.
    Das kleine Buch,
Woran ich glaube
, lag auf dem Tisch, wo sie es am Morgen gelesen hatte.
    Sie schlug es auf und blätterte durch die knisternden Seiten. «Hier ist es», sagte sie. «Ich habe mich doch nicht geirrt. Sieh dir noch mal diese Widmung an!»
    Liebster Felix,
    das ist für Dich!
    Nachdem wir das überlebt haben,
    kann uns nichts mehr passieren.
    Ein Grund zur Freude,
    Margon
    Rom ’04
    «Okay. Margon hat Felix dieses Buch geschenkt», sagte Reuben. Er verstand nicht, welche Bedeutung Laura dem beimaß.
    «Beachte das Datum.»
    «Rom ’ 04 », las Reuben laut vor. «O mein Gott! Er ist 1992 verschwunden. Aber das hier … Es bedeutet, dass er noch lebt … und dass er nach seinem Verschwinden hier im Haus war.»
    «Sieht so aus», sagte Laura. «Zumindest einmal innerhalb der letzten acht Jahre.»
    «Ich habe diese Widmung ja auch schon gelesen, aber das ist mir gar nicht aufgefallen.»
    «Mir zuerst auch nicht», sagte Laura. «Aber dann ging mir plötzlich ein Licht auf. Da stellt sich doch die Frage, wie viel noch über die Jahre hergebracht oder weggeholt wurde, ohne dass jemand etwas davon gemerkt hat. Inzwischen glaube ich auch, dass Felix hier war. Wenn Marrok unbemerkt in dieses Haus eindringen konnte, war es Felix genauso möglich.»
    Reuben ging weiter auf und ab und versuchte, diesen Gedanken zu verarbeiten. Was bedeutete das für ihn? Was konnte er tun?
    Laura setzte sich an den Tisch und blätterte in dem Buch herum.
    «Gibt es noch mehr handschriftliche Notizen?», fragte Reuben.
    «Nur kleine Häkchen, Unterstreichungen und so etwas», sagte Laura. «Alle scheinen von ein und derselben Person zu stammen, und diese Person macht einen höchst lebendigen Eindruck. Nur dass wir leider nicht wissen, wer oder was es ist und was dieses Wesen vorhat.»
    «Aber du weißt, was Marrok gesagt hat, welche Anschuldigungen er gegen mich erhoben hat.»
    «Ach, Reuben, nimm das nicht so ernst! Er war furchtbar wütend, weil du mit seiner geliebten Marchent zusammen warst. Dafür wollte er dich büßen lassen. Er dachte, er hätte dich damals tödlich verwundet. Gut möglich, dass er dich keineswegs versehentlich gebissen hat. Er hat dich zwar nicht auf der Stelle getötet, aber er dachte, das Chrisam würde den Rest erledigen. Er hat den Notruf nicht gewählt, damit du gerettet wirst, sondern damit Marchents Leiche nicht herumliegt, bis Galton oder sonst wer sie zufällig findet.»
    «Wahrscheinlich hast du recht.»
    «Du bist doch sonst so sensibel, Reuben. Erkennst du keine Eifersucht, wenn sie dir begegnet? Alles, was dieses Monster gesagt hat, war von Hass diktiert. All diese Tiraden, dass er dich niemals auserwählt hätte, dass du nicht würdig seist und dass es deine Schuld war, dass er Marchent den Rücken gekehrt hat. Das war pure Eifersucht, von Anfang bis Ende.»
    «Verstehe.»
    «Du kannst nichts darauf geben, was dieses Monster über Felix gesagt hat. Lass uns mal ganz vernünftig überlegen. Wenn Felix diesen Brief geschrieben hat und demzufolge lebt, dann hat er zugelassen, dass du dieses Haus erbst. Er hat nicht das Geringste unternommen, um das zu verhindern oder dir sonst wie in die Quere zu kommen. Die Frage ist: Warum? Und warum hätte er dann trotzdem diese niederträchtige Kreatur herschicken sollen, um den rechtmäßigen neuen Besitzer zu töten und das Haus in die Hände des Nachlassgerichts fallen zu lassen?»
    «Weil er zu diesem Zeitpunkt bereits das Einzige an sich gebracht hatte, was ihm wichtig war?», spekulierte Reuben. «Das Tagebuch und die Tontafeln, die er

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