Das Geschenk der Wölfe
gleich nach Marchents Tod geholt hatte?»
Laura schüttelte den Kopf. «Das glaube ich nicht. Hier sind noch so viele andere wertvolle Dinge – Pergamentrollen, antike Gesetzesbücher … überall … Felix’ ganze Sammlung. Und was sich in den Dachkammern befindet, weiß kein Mensch. Auch anderswo im Haus können sich noch unentdeckte Schätze befinden. Denk an die riesigen Koffer, die du noch nicht mal geöffnet hast, und die Kisten voller Papiere. Außerdem gibt es hier Geheimkammern.»
«Geheimkammern?»
«Es muss welche geben. Komm mit in den Hausflur!»
Sie gingen an die Stelle, wo der südliche und der westliche Gang aufeinandertrafen.
«Die Gänge treffen in rechten Winkeln aufeinander, aus allen vier Himmelsrichtungen kommend», sagte Laura.
«Ja, aber wir waren doch schon in allen angrenzenden Zimmern. Nach außen hin liegen die Schlafzimmer, zur Hausmitte hin die Wäscheschränke und kleinen Badezimmer. Wo soll da Platz für Geheimkammern sein?»
«Gute Frage», sagte Laura, ging auf die andere Seite des Gangs und öffnete einen Wäscheschrank. «Der hier ist kaum vier Meter tief, genau wie die anderen, die zusammen einen umlaufenden rechtwinkligen Gürtel bilden.»
«Richtig.»
«Und in der Mitte, was ist da?»
«Mein Gott, du hast recht! In der Mitte muss es noch einen Hohlraum geben.»
«Heute Nachmittag, als du mit Jim gesprochen hast, hab ich mich mal umgesehen. Ich bin in jeden einzelnen Wäscheschrank gegangen, in jedes Badezimmer, aber nirgendwo war eine Tür zur Hausmitte hin.»
«Aber du glaubst trotzdem, dass es hier Geheimkammern gibt?»
Laura nickte und sagte: «Komm, lass uns was anderes versuchen!»
Sie führte Reuben in das Zimmer, das sie jetzt als Arbeitszimmer benutzte. Einen kleinen Schreibtisch hatte sie von der Wand an die Fenster gerückt, darauf stand ihr aufgeklappter Laptop.
«Wie lautet die genaue Adresse hier?»
Laura gab sie ein und klickte dann das Satellitenbild an.
Ein Luftbild der Küsten- und Waldregion erschien, und Laura zoomte auf das Haus. Dann klickte sie das Haus an, um die Ansicht zu vergrößern. Ein großes quadratisches Glasdach erschien, umgeben von den Giebeln, die genau auf die vier Himmelsrichtungen der eingeblendeten Kompassnadel ausgerichtet waren.
«Siehst du das?», fragte Laura.
«Mein Gott!», sagte Reuben. «Da in der Mitte, das ist nicht einfach eine Geheimkammer, das ist ein riesiger Raum! Die Giebel verdecken das Glasdach komplett, sodass von draußen nichts zu sehen ist. Kannst du noch näher ranzoomen? Vielleicht kann man noch mehr erkennen.»
«Leider nicht. Aber ich weiß, worauf du es abgesehen hast. Ich sehe es auch – eine Klappe im Dach, eine Einstiegsluke oder so etwas.»
«Ich muss da rauf! Irgendwo unterm Dach muss es doch einen Zugang geben!»
«Ich habe alles gründlich durchsucht», sagte Laura. «Da gibt’s keine Türen. Aber wer weiß, wie oft Felix oder Marrok in all den Jahren hierhergekommen sind und den verborgenen Teil des Hauses durch diese Einstiegsluke auf dem Dach betreten haben – oder durch einen anderen Eingang, den wir noch nicht gefunden haben.»
«Das wäre eine Erklärung», sagte Reuben. «In der Nacht von Marchents Tod war Marrok im Haus. Es sind zwar keine Einbruchsspuren gefunden worden, aber er war in der Geheimkammer in der Mitte des Hauses. Vielleicht sind es sogar mehrere Kammern.»
«Kann sein, aber vielleicht sind die auch nur alle voll mit Regalen und Bücherschränken.»
Reuben nickte.
«Aber sicher ist es nicht», sagte Laura. «Es wäre nicht schlecht, Gewissheit zu haben. Ich meine, vielleicht will Felix an etwas herankommen, das sich in diesen Geheimkammern befindet. Vielleicht will er sogar das ganze Haus haben. Dich zu töten wäre keine Lösung, denn dann würde das Haus zum Verkauf angeboten und einen neuen Besitzer finden. Und was sollte Felix dann tun? Immer weiter töten?»
«Er kann sich doch einfach hereinschleichen, wie er es immer schon getan hat.»
«Nein. Das ging nur, solange das Haus seiner Nichte gehörte. Es geht wahrscheinlich auch, solange das Haus dir gehört. Doch wenn das Haus einem Fremden gehört, der vielleicht ein Hotel daraus machen oder es sogar abreißen will, verliert Felix alles, was ihm lieb und teuer ist.»
«Verstehe», sagte Reuben nachdenklich.
«Wir wissen noch nicht genug», sagte Laura. «Der Brief ist gerade erst angekommen. Vielleicht weiß Felix selber noch nicht, wie es weitergehen soll. Aber nach allem, was wir von ihm
Weitere Kostenlose Bücher