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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wissen, kann ich einfach nicht glauben, dass er diesen finsteren Marrok geschickt haben soll, um uns zu töten.»
    «Ich hoffe inständig, dass du recht hast.»
    Reuben ging ans Fenster. Ihm war heiß, und er war so nervös, dass es fast einer Panik gleichkam. Aber er wusste, dass eine Verwandlung nicht bevorstand. Er war sich auch gar nicht sicher, ob es gut wäre, sich jetzt zu verwandeln. Er wusste nur, dass sein gegenwärtiger Zustand, diese körperlichen Spannungen und Gefühle unerträglich waren.
    «Ich muss den Zugang zu diesen Geheimkammern finden», sagte er.
    «Meinst du, das hilft dir, besser zu ertragen, was du gerade durchmachst?», fragte Laura.
    «Nein.» Reuben schüttelte den Kopf, atmete tief durch und schloss die Augen. «Hör zu, Laura», fuhr er dann fort. «Wir müssen hier eine Zeitlang verschwinden. Lass uns wegfahren.»
    «Wohin denn?»
    «Keine Ahnung. Aber ich lasse dich hier nicht allein. Lass uns gleich losfahren.»
    Laura wusste, was er bezweckte, und stellte keine weiteren Fragen.
    Als sie das Haus verließen, regnete es in Strömen.
    Reuben fuhr südwärts, bis sie den Highway  101 erreichten. Er beschleunigte und bewegte sich, so schnell der Motor es zuließ, auf die Stimmen und die großen Städte der San Francisco Bay zu.

[zur Inhaltsübersicht]
    25
    A uf dem Mountain-View-Friedhof von Oakland schienen zwischen den Bäumen, den großen und kleinen Grabsteinen in der Ferne die Lichter von San Francisco durch den strömenden Regen.
    Ein Junge schrie auf, als zwei andere ihn mit einem Messer quälten. Der dritte, der Anführer, war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, seine muskulösen nackten Arme waren von Tätowierungen übersät. Sein nasses T-Shirt klebte an seinem zitternden Körper. Er war mit Drogen vollgepumpt, bebte vor Wut und genoss es, Rache an dem zu nehmen, der ihn verraten hatte. Er würde den einzigen Sohn seines Feindes auf dem Altar der Gewalt opfern.
    «Was willst du?», sagte er höhnisch zu dem Jungen. «Meinst du, der Wolfsmensch rettet dich?»
    Reuben näherte sich dem Anführer aus einem nahen Eichenhain. Als die beiden anderen ihn sahen, schrien sie auf und ergriffen die Flucht.
    Reuben schlug zu, riss ihm die Halsschlagader auf, der Mann taumelte und ging zu Boden. Das Wolfsgebiss packte seine Schulter, zerfetzte Sehnen, ein Arm riss ab. Keine Zeit, das verlockend frische Stück Fleisch zu fressen.
    Reuben jagte den panisch Flüchtenden über den Friedhof nach, schnappte nach dem ersten und riss ihm den Hals auf. Dann warf er ihn achtlos fort und setzte dem anderen nach. Er packte ihn mit beiden Pfoten, hob ihn an und hielt ihn sich vors Maul. Köstlich, der pulsierende Leckerbissen, das triefende Fleisch!
    Das Opfer lag auf einem blutigen Grasstreifen. Nussbraune Haut, schwarzes Haar. Zusammengerollt wie ein Baby lag er in seiner schwarzen Lederjacke da. Er blutete aus Gesicht und Bauch, war der Ohnmacht nahe. Driftete in die Bewusstlosigkeit, kam wieder zu sich, driftete wieder ab. Verzweifelt riss er die Augen auf, um bei sich zu bleiben. Er war erst zwölf. Reuben hob ihn am Jackenkragen hoch, wie eine Katze ihr Junges aufheben würde. Er begann zu rennen, schneller und schneller, bis er die beleuchteten Straßen erreichte. Über die eiserne Brücke. Dann legte er das Bündel an einer Straßenecke vor den dunklen Fenstern eines kleinen Cafés ab. Alles war ruhig. Kein Verkehr zu so später Stunde. Die Straßenlaternen beleuchteten leere Geschäfte. Mit der rechten Pfote schlug er ein Fenster ein. Die Alarmanlage schrillte. Lichter gingen an und warfen ihren Schein auf den Verwundeten, der auf dem Asphalt lag.
    Reuben war längst verschwunden. Zurück auf dem Friedhof, nahm er die Witterung der Erschlagenen auf. Doch inzwischen war die Beute erkaltet. Uninteressant. Er wollte warmes Fleisch. Und es schwirrten noch mehr Stimmen durch die Nacht.
    Eine junge Frau sang ein Totenlied.
    Er fand sie im Wäldchen des Universitätsgeländes von Berkeley. Früher, in seinem anderen Leben als Mensch, hatte er dieses Fleckchen Erde sehr geliebt.
    Unter hohen Eukalyptusbäumen hatte sie einen Schrein für ihre letzte Stunde errichtet – ihr Lieblingsbuch, eine Flasche Wein, ein besticktes Kissen auf einem Lager duftender Blütenblätter, ein kleines scharfes Küchenmesser, mit dem sie sich die Pulsadern aufgeschlitzt hatte. Das Blut floss, und das Leben wich aus ihr, während ihr Lied verstummte und sie nur noch stöhnte. «Falsch!», murmelte sie. «Falsch!

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