Das Geschenk der Wölfe
sich mit ihm nicht abgeben. Sie brauchen ihn nicht einzuladen. Das Haus gehört jetzt Ihnen, und daran müssen sich die Leute nun mal gewöhnen. Es ist nicht mehr Felix’ Haus.»
«Ich werde nach ihm Ausschau halten», sagte Reuben.
«Wie gesagt, er ist kein Schuft. Hier in der Gegend kennt ihn jeder als einen der vielen Weltenbummler, die sich hier schon immer herumgetrieben haben. Trotzdem: Es ist jetzt Ihr Haus.»
Reuben begleitete Galton zur Tür.
«Wenn Sie wollen, kommen Sie doch heute ins Gasthaus», sagte Galton. «Wir feiern das Aus der Berglöwin, die meinen Hund getötet hat.»
«Ins Gasthaus? Wo ist das?»
«Das können Sie gar nicht verfehlen, mein Sohn. Fahren Sie einfach nach Nideck. Da gibt’s nur eine Hauptstraße, und da ist auch das Gasthaus.»
«Ach, der Gasthof, in dem man auch übernachten kann», sagte Reuben. «Den hab ich gesehen, als ich zum ersten Mal hier war. Davor stand ein Schild, dass er verkauft werden soll.»
«Das steht da immer noch und wird auch noch länger da stehen.» Galton lachte. «Nideck ist zwanzig Kilometer von der Küste entfernt. Warum sollte da jemand übernachten wollen? Aber wir würden uns freuen, Sie da heute Abend auf einen Drink zu begrüßen. Sie beide.»
Reuben schloss die Tür hinter ihm und ging in die Bibliothek.
Dort öffnete er den Ordner mit Dokumenten das Haus betreffend, den Simon Oliver ihm geschickt hatte. Darin befand sich auch die handschriftliche Liste mit Handwerkern, Lieferanten und sonst wie mit dem Haus verbundenen Leuten, die Marchent in der letzten Stunde ihres Lebens für ihn zusammengestellt hatte.
Schnell ging er die Namen durch. Tatsächlich! Marrok. Thomas Marrok. «Alter Freund der Familie, genauer gesagt von Felix, der gelegentlich vorbeischaut. Übernachtet gern im Wald hinterm Haus. Entscheide selbst, ob du es gestatten willst. Keine Sonderbehandlung nötig.»
Reuben ging nach oben und fand Laura im Arbeitszimmer.
Er erzählte ihr alles, was er von Galton erfahren hatte.
Später fuhren sie mit dem Porsche nach Nideck.
Im Schankraum des Gasthofs saß eine fröhliche Runde beim Essen, als sie hereinkamen. Die Einrichtung war rustikal, die Wände bestanden aus groben Holzbalken. In der Ecke saß ein alter Mann mit einer Gitarre und sang ein trauriges keltisches Lied. Auf den Tischen lagen rot-weiß karierte Decken, auf denen Kerzen standen.
Der Wirt saß in seinem kleinen Büro und hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Er las in einem Romanheftchen. In einem Mini-Fernseher lief die x-te Wiederholung einer Folge von
Rauchende Colts
.
Reuben fragte ihn, ob er einen Mann namens Marrok kannte und ob dieser Mann in der letzten Woche hier im Gasthof übernachtet hatte.
«Den kenne ich», sagte der Wirt. «Aber übernachtet hat er hier nicht.»
«Sie wissen nicht zufällig, woher er kommt?», fragte Reuben.
«So wie er daherredet, war er schon überall», sagte der Wirt. «Zuletzt sagte er, er käme gerade aus Mumbai. Ein andermal sagte er, er käme gerade aus Kairo. Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt einen festen Wohnsitz hat. Seine Post wurde immer an das alte Haus geschickt, soviel ich weiß. Das heißt, heute ist ein Brief für ihn hier abgegeben worden, fällt mir gerade ein. Der Postbote sagte, seine Post solle nicht mehr im Nideck-Haus abgeliefert werden. Deswegen hat er den Brief einfach hier abgegeben, damit ich ihn Marrok gebe, wenn er das nächste Mal auftaucht.»
«Ich kann ihm den Brief geben», sagte Reuben. «Ich wohne jetzt im Nideck-Haus.»
«Ich weiß», sagte der Wirt.
Reuben stellte sich vor und entschuldigte sich dafür, dass er es nicht eher getan hatte.
«Schon gut», sagte der Wirt. «Hier weiß doch sowieso jeder, wer Sie sind. Wir sind froh, dass wieder Leben ins Haus kommt. Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.» Dann ging er in den Schankraum und kam mit dem Brief zurück. «Meine Frau hat ihn geöffnet, weil sie dachte, er wäre für uns. Als sie sah, dass er für Thomas Marrok ist, hat sie ihn natürlich gleich wieder in den Umschlag gesteckt. Tut mir leid. Sie können ihm sagen, dass es unsere Schuld ist.»
Reuben bedankte sich. Er wusste, dass es illegal war, Briefe zu entwenden, und er merkte, dass er rot wurde.
«Wenn er herkommt, sage ich ihm, dass Sie den Brief mitgenommen haben», sagte der Wirt.
«Das ist nett von Ihnen», sagte Reuben.
Galton saß an der Bar und hob grüßend seinen Bierkrug, als Reuben und Laura wieder hinausgingen.
Sie fuhren zum Haus
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