Das Geschenk des Osiris
Überfalls zu bezichtigen. Ein Gericht hatte sie von jeglicher Schuld freigesprochen, das unter dem Vorsitz des höchsten Richters nach dem Pharao gestanden hatte.
»Komm«, fügte er in freundlicherem Ton hinzu. »Ab heute wirst du hier schlafen.« Er wies auf ihren Strohsack, der mit einem sauberen weißen Laken bezogen war und neben dem Bett von Amunhotep lag. »Wenn der Gebieter zu Bewusstsein kommt, schicke Ipuki zu mir, der vor der Tür warten wird. Er ist Wab-Priester und ein neuer Diener, der mir vom Schatzmeister zugewiesen wurde und nun im Haushalt des Gebieters seinen Dienst versieht. Er wird mich über alles unterrichten, wenn du ihn zu mir schickst.«
... und auch Ipuwer, fügte Hekaib in Gedanken hinzu und knirschte unwillkürlich mit den Zähnen.
Gehorsam trat Satra näher und kniete neben dem Bett ihres Herrn nieder. Dabei fiel ihr Blick auf Amunhoteps eingefallenen Brustkorb und auf den kleinen goldenen Osiris mit der blauen Atef-Krone, den er als Amulett ständig um den Hals trug und höchstens zum Baden und Salben abnahm.
Satra hatte keinen einzigen Gedanken mehr an Osiris, Amun oder einen der anderen tausend Götter Kemis verschwendet, seit sie nach Theben gebracht worden war. Sie weigerte sich noch immer, ihre Existenz anzuerkennen. Einzig ein leichtes Kribbeln in ihrem linken Oberarm erinnerte sie gelegentlich daran, was im Vorhof des abydonischen Tempels geschehen war, doch sie versuchte, dieses Erlebnis weitestgehend zu ignorieren.
Ihr Blick ruhte auf der goldenen Figur, und wieder überkam sie dieses beklemmende Gefühl, dass irgendetwas von ihrem Körper und ihrem Geist Besitz ergriffen hatte. Unwillkürlich bekam sie feuchte Handflächen. Sie ahnte zwar, dass es sich nicht mehr rückgängig machen ließ, aber sie kämpfte tapfer dagegen an und hoffte, sich irgendwie wehren zu können.
»Was ist los?«, riss sie die Stimme des Haushofmeisters aus ihren Gedanken. »Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?«
Satra riss den Blick von dem Amulett und bejahte.
»Gut, dann tu deine Arbeit.« Hekaib wollte sich umdrehen und das Schlafgemach verlassen.
Satra hielt ihn zurück. »Verzeih mir, Herr, wie geht es meinem Gebieter und wie genau sind seine Verletzungen?«
Überrascht verharrte Hekaib, wandte sich ihr wieder zu und sah nachdenklich auf sie herab.
Warum wollte sie es wissen? Warum sollte er ihr überhaupt darauf antworten?
Er seufzte innerlich und rang sich schließlich zu einer Entgegnung durch. »Er hat einen harten Schlag an den Kopf bekommen. Sein Schädel wurde zertrümmert. Paheri hat die Wunde gereinigt, und die Splitter aus der Hirnmasse entfernt. Der Gebieter hat es überlebt. Die Wunde will jedoch nicht zuheilen, und er ist auch nur selten bei Bewusstsein. Es sind böse Dämonen in das Herz des Oberpriesters gedrungen und haben von dort seinen Körper in ihren Besitz gebracht. Er kann nicht mehr verständlich sprechen und sich nicht mehr richtig bewegen. Sein rechter Arm und sein rechtes Bein sind lahm, weil sie nicht mehr seinem Herzen, sondern den Dämonen gehorchen.«
Betrübt sah er zu Amunhotep und fragte sich erneut, warum er so ausführlich auf die Frage dieser Leibeigenen eingegangen war. Dann wandte sich um und verließ den Raum.
Satra blieb am Bett ihres Herrn auf den Knien kauernd zurück.
Böse Dämonen!, dachte sie und schmunzelte leicht amüsiert. Ihr Leute des Schwarzen Landes seid so gescheit und doch so dumm.
Sie stand auf und ging zu ihrem Lager. Dort streckte sie sich auf ihrem Strohsack aus und war kurze Zeit später tief und fest eingeschlafen.
* * *
Am nächsten Morgen wurde Satra von einem der Wachmänner, die schon zuvor im Dienst ihres Gebieters gestanden hatten, geweckt. Er war nubischer Abstammung, und sein Name lautete Maiherperi.
»Steh auf, Satra!«, fuhr er sie barsch an, als sie ihn gähnend anblinzelte. »Die Nacht ist vorbei. Der Gebieter muss gewaschen und gesalbt werden. Anschließend muss er seine Brühe bekommen.« Er stieß Satra mit dem Fuß an, weil sie noch immer keine Anstalten machte, sich von ihrem Lager zu erheben. »Ich weiß, dass du freigesprochen wurdest. Das hindert mich noch lange nicht daran, meine Zweifel an deiner Unschuld zu hegen.« Sein Blick ruhte drohend auf ihr, und seine Stimme klang rau und zischend. »Ich werde dich nicht aus den Augen lassen, und wehe dir, wenn du nur einen falschen Handgriff machst, der meinem Herrn Schaden zufügen könnte. Dann mögen dir die Götter gnädig sein.
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