Das Geschenk des Osiris
ihm.
»Pass gut auf sie auf«, befahl Ipuwer dem Nubier, als sie sich beide in der angrenzenden Halle gegenüberstanden. »Auch ein Gericht kann sich täuschen. Ich selbst habe sie mit der blutverschmierten Keule in der Hand neben Amunhotep stehen sehen. Als die Wachen erschienen, wollte sie fliehen.« Er nickte Maiherperi vielsagend zu.
»Ich schwöre dir, Herr, dass es niemandem gelingen wird, einen erneuten Anschlag auf das Leben meines Gebieters zu verüben. Meine Männer sind mir treu ergeben, und nur sie werden die Wache zum Privatbereich übernehmen.«
»Das ist gut so«, bestätigte Ipuwer und entließ den Nubier mit einer Handbewegung.
Ja, dachte er, macht eure Sache gut und gewissenhaft. Beschützt Amunhotep, so gut ihr könnt. Ich werde trotzdem der neue Oberpriester sein, denn Amunhotep befindet sich in der Hand der Götter, und die Lippen meiner Komplizen werden auf ewig geschlossen bleiben.
Er schmunzelte zufrieden in sich hinein, als er durch den Haupteingang hinaus in die Hitze des Tempelbezirks trat.
Es hatte ihn zwar anfangs etwas beunruhigt, als Dedi in Theben nicht wieder auf die Barke zurückgekehrt war, aber da sich bis jetzt nichts ereignet hatte, war Ipuwer sicher, dass Dedi weder von Pharaos Ordnungshütern gefasst worden war noch jemanden verraten hatte. Paheri hatte auf das spurlose Verschwinden seines Gehilfen beinahe panisch reagiert. Ipuwer hatte ihn davon zu überzeugen gewusst, dass ihn der junge Syrer übers Ohr gehauen habe und mit dem gesamten Erlös aus den im Auftrag von Paheri getätigten Verkäufen untergetaucht sei, um irgendwo ein schönes neues Leben zu beginnen.
Einzig die bläuliche Tätowierung am linken Oberarm dieser Dienerin machte ihn stutzig. Seit wann hatte sie die? War sie echt oder hatte sich Amunhotep, dieses Jüngelchen, einen bösen Scherz erlaubt und seiner Dienerin ein heiliges Mal in die Haut eintätowiert, um die Priesterschaft und ihn zu täuschen?
Ipuwer konnte sich erinnern, dass die Frau kurz vor dem Anschlag mit einem verbundenen Arm umhergelaufen war; er hatte jedoch angenommen, dass sie sich die Haut durch den Reif wundgescheuert hatte, so wie alle anderen vor ihr auch.
Ratlos strebte er seinem Haus zu, um zu essen, zu baden und während der Mittagshitze zu ruhen.
VIERUNDZWANZIG
Seitdem Satra wieder nach Abydos zurückgekehrt war, hatte sie dieses Gefühl nicht mehr loswerden können, das sie zum ersten Mal im Badehaus ihres Gebieters gespürt hatte, nachdem sie der leuchtenden Erscheinung begegnet war. Es wurde mit jedem Tag, den sie im Tempel des Großen Gottes Osiris verbrachte, stärker, und ihr linker Oberarm bereitete ihr Schmerzen wie damals, als die Erscheinung sie berührt hatte. Dennoch hatte sie sich geschworen, nicht zuzulassen, dass das, was immer es auch sein mochte, sich ihres Geistes und ihres Körpers bemächtigen konnte.
Hatte die Erscheinung sie nicht schwören lassen, für alle Zeiten dem Gott, dem Pharao und ihrem Herrn treu und ergeben zu dienen? Sollte sie nicht mit ihrem Wissen, Können und Leben bis ans Ende aller Zeiten ihnen gehören?
Nein, niemals!
Das würde bedeuten, dass sie zu einem willenlosen Werkzeug gemachen werden sollte, einem Geschöpf, das ohne nachzudenken jeden Befehl ausführen würde.
Energisch schüttelte sie bei diesem Gedanken den kahl geschorenen Kopf.
Nicht mit ihr!
Sie war ein menschliches Wesen und hatte ihren eigenen, freien Willen. Sie war kein Hund, der seinem Herrn im blinden Gehorsam folgt, ihm zu Füßen liegt und ihm diese auch noch dankbar leckt. Sie war zwar froh, wieder im Tempel zu sein, und empfand, zugegeben, ein gewisses Maß an Zuneigung und Liebe für Osiris, aber zu seiner Sklavin würde sie sich nicht machen lassen.
Das Brennen in ihrem Oberarm wurde immer heftiger. Schmerzgeplagt presste sie die rechte Hand auf die Tätowierung, bis die Qualen nachließen.
Damals im Badehaus war ihr aufgefallen, dass sie Amunhotep auf seine Fragen nicht hatte antworten wollen, dass da aber eine Kraft gewesen war, die sie gezwungen hatte, ihm alles zu sagen und vor allem, ihm die Wahrheit zu erzählen. Das beunruhigte Satra immens. Sie wollte sich jedoch so lange dagegen wehren, wie es ihr möglich war.
Ihr Blick fiel auf den Oberpriester, der in der ganzen Zeit nur viermal für kurze Zeit das Bewusstsein wiedererlangt hatte, ohne dabei seine Umwelt bewusst wahrzunehmen. Seinem Mund hatten sich nur stöhnende und unverständliche Laute entrungen; dann
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