Das Geschenk des Osiris
aus dem Vorratslager zu holen und deinen Strohsack in das Schlafgemach des Herrn zu bringen.« Verstört riss Satra die Augen auf, und erklärend fügte Hekaib hinzu: »Ab jetzt schläfst du neben dem Bett des Gebieters. Er ist noch immer krank und kommt nur selten zu Bewusstsein. Du wirst dich um ihn kümmern und immer zur Stelle sein, wenn er dich braucht, und ich meine immer. Du wirst das Schlafgemach einzig und allein zu deiner persönlichen Körperpflege verlassen und wenn du auf den Abort musst. Ansonsten wirst du neben dem Bett des Gebieters wachen. Es ist dir erlaubt, für eine Stunde das Haus zu verlassen, bevor Re in Nuts Rachen versinkt, und du darfst bis auf Widerruf das Badehaus des Gebieters benutzen. Hast du das alles verstanden?«
Satra nickte. »Ja, Herr, ich werde mich nur noch im Schlafgemach aufhalten und meinen Gebieter gesund pflegen, und ich darf die letzte Stunde vor Sonnenuntergang hinaus an die frische Luft gehen sowie mich im herrschaftlichen Badehaus waschen«, wiederholte sie die Anweisungen, die Hekaib der vom Wesir erhaltenen Schriftrolle entnommen hatte. »Darf ich wieder in den Park an den Teich gehen?«, fragte sie.
»Meinetwegen, aber nun tu, was ich dir befohlen habe!«
Als Satra um die Ecke zum Badehaus kam, saß Piay mit angezogenen Knien auf dem Fußboden und döste vor sich hin. Als er hochsah und sie erblickte, stieß er einen Freudenschrei aus.
»Was machst du denn hier?«, begrüßte er sie. Er sprang auf die Füße und lief ihr entgegen, um sie zu umarmen.
Liebevoll umschlang Satra seinen mageren Körper und drückte ihn an sich.
»Der Wesir hat mich wieder zurück zu unserem Gebieter geschickt, weil ich unschuldig bin und freigesprochen wurde«, erklärte sie und strich Piay über seinen kahl rasierten Schädel, von dem einzig eine dicke geflochtene Haarsträhne hing, die von einer Spange hochgehalten wurde.
»Das habe ich immer gewusst«, versicherte der Elfjährige und sah sie aus großen dunklen Augen treuherzig an. »Du bist nicht die Tochter des Seth, auch wenn einige Priester das sagen.«
»Danke, Piay, es ist schön zu wissen, dass wenigstens ein Mensch an mich glaubt.« Sie beugte ihren Kopf vor und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann schob sie ihn auf Armeslänge von sich und betrachtete ihn.
Piay schien etwas gewachsen zu sein, seitdem sie sich vor über zwei Monaten das letzte Mal gesehen hatten. Bei allem, was er so verspeiste, war das kein Wunder. Allerdings schien sich bei ihm die Nahrung mehr in der Länge und als in der Breite bemerkbar zu machen.
Sie schmunzelte verstohlen.
Ob er wohl seine Mutter vermisst?, schoss es ihr mit einem Mal durch den Kopf.
Sitsobek hatte man wegen ihrer Falschaussage die Zunge herausgeschnitten. Zudem war sie von ihrem Sohn getrennt worden. Vielleicht hatte sie es gar nicht überlebt.
Mitleidig blickte Satra auf Piay herab, der sie seinerseits glücklich anstrahlte. Mit einem Mal musste sie an ihre eigenen Eltern und Freunde denken, die sie seit über sechzehn Monaten nicht mehr gesehen hatte. Mehr als einmal hatte sich Satra schon gefragt, ob sie jemals wieder zu ihnen zurückkehren würde. Bei diesem Gedanken füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie wandte den Blick von dem Jungen, damit er es nicht sah, und schluckte den aufkommenden Schmerz herunter.
»Ist Badewasser da?«, fragte sie mit belegter Stimme, und erstaunt zog Piay die Augenbrauen in die Höhe.
»Warum fragst du das? Der Gebieter kann nicht baden.«
»Das weiß ich«, antwortete sie, »aber ich kann es.«
Das Erstaunen in Piays Gesicht wechselte zu Verständnislosigkeit, sodass sich Satra genötigt fühlte, es ihm zu erklären. Anschließend spazierte sie schmunzelnd an ihm vorbei ins Badehaus.
Als Satra eine halbe Stunde später erfrischt und sauber in Begleitung von Hekaib das herrschaftliche Schlafgemach betrat, blieb sie bei Amunhoteps Anblick wie angewurzelt stehen.
Der Oberpriester lag auf seinem kostbaren Bett aus Sykomorenholz und regte sich nicht. Sein Kopf war dick bandagiert, sein Gesicht eingefallen und fahl, und sein ehemals muskulöser Körper bestand nur noch aus Haut, Knochen und Sehnen.
Satra schluckte, um die Tränen zu unterdrücken, als sie ihn sah. Betrübt senkte sie den Kopf.
Hekaib hatte sich zu ihr umgedreht und musterte sie stirnrunzelnd.
»Was ist los?« Er winkte sie näher heran. »Wieso zögerst du? Bist du entsetzt zu sehen, was du ...«
Er biss sich auf die Zunge. Er hatte nicht das Recht, sie dieses
Weitere Kostenlose Bücher