Das Geschenk des Osiris
Verbeugung an und schenkte sich einen weiteren Kelch Wein ein. Seine Majestät hatte ihm, seinem Obersten Richter, soeben die Anweisung erteilt, dass die Dienerin nicht verurteilt werden durfte.
* * *
Alles war zum Beginn der Verhandlung im Säulengang des Vorhofes aufgebaut. Zwei Diener hielten je einen Speer in der Hand, auf dem eine Melone aufgespießt worden war. Nehi hatte den Zweiten Propheten nach der Größe seines Sohnes befragt, und Nesamun hatte sie ihm anhand seiner eigenen gezeigt. Die beiden Männer, die mit einer Keule auf die Früchte einschlagen sollten, waren ebenfalls anwesend, ein großer fremdländischer Kriegsgefangener für die Angeklagte und ein kleiner einheimischer Wab-Priester für den unbekannten Mann.
Satra wurde vor das Gericht geführt.
»Entspricht es so deinen Vorstellungen?«, befragte sie der Wesir.
»Ja, Hoher Herr«, bestätigte sie, nachdem sie alles begutachtet hatte.
»Dann wollen wir beginnen.« Nehi gab dem Fremdländer ein Zeichen, mit seiner Keule auf die Melone zu hauen.
Man hatte den Männern eingeschärft, dass sie nicht mit voller Kraft zuschlagen sollten, um die Frucht nicht zu zerstören. Stattdessen hatte man den Kopf der Keule mit roter Farbe bestrichen, sodass man hinterher genau erkennen konnte, wo sie die Melone getroffen hatten.
Der Mann holte aus, schlug zu und zog sich wieder in seine Ecke zurück.
Nun war der Wab-Priester an der Reihe. Sein Schlag traf die Melone im unteren Bereich, so wie es Nesamun vorhergesagt hatte.
Nehi ließ sich die beiden Melonen bringen und entließ die Männer. Dabei beobachtete er die Angeklagte, die mit dem Ergebnis ihres Versuchs recht zufrieden zu sein schien.
»Schreiber, vermerke«, ertönte wenig später seine Stimme durch den Hof. »Der größere der beiden Männer traf die Melone in der oberen Hälfte, während der kleinere sie im unteren Bereich mit seiner Keule berührte. Der Unterschied zwischen beiden Punkten beträgt ungefähr vier Fingerbreiten.« Er sah forschend zu Satra. »War es das, was du mir zeigen wolltest?«
»Ja, Hoher Herr. Mein Gebieter wurde tiefer getroffen. Ich habe seine Verletzung gesehen.«
»Das werde ich frühestens morgen wissen«, entgegnete Nehi kühl. »Bis dahin ist die Verhandlung beendet. Die Dienerin bleibt weiterhin im Gewahrsam des Tempels.«
Er erhob sich und mit ihm die sechs Beisitzer. Satra wurde derweil von einer Tempelwache in die Unterkünfte der Bediensteten gebracht, wo sie bis zur Verkündung des Urteils ihren täglichen Pflichten nachkommen musste.
DREIUNDZWANZIG
Satra wurde einstimmig für unschuldig erklärt und sollte auf Befehl des Pharaos am nächsten Tag auf den Schnellsegler eines königlichen Herolds gebracht werden, der mit einer dringenden Mission beauftragt worden war.
Kurz bevor sie von einem Soldaten der Tempelwache zur Barke gebracht wurde, erschien der Zweite Prophet und trat auf sie zu.
»Seine Majestät wünscht, dass du wieder zurück nach Abydos zu deinem Herrn gehst und ihn pflegst?«
Satra verneigte sich ehrfürchtig. »Der Wunsch meines Königs ist mir Befehl.«
Nesamun schmunzelte verstohlen. »Kümmere dich gut um Amunhotep, Satra! Er ist mein Sohn.« Er drehte sich um und ließ die Frau stehen, der vor Überraschung der Mund offen stand.
»Ja, Hoher Herr, das werde ich tun«, flüsterte sie.
Dann erschien der Soldat und brachte sie fort.
Der Nil war im Sinken begriffen. Dennoch war die Strömung schnell, sodass das Schiff bereits in den letzten Strahlen von Res goldener Barke den Anleger von Abydos erreichte.
Als Satra den Pylon des Tempels erblickte, begann ihr linker Oberarm genau an jener Stelle zu jucken, wo sie das heilige Zeichen trug,. Ihr Herz schlug deutlich schneller, und sie konnte es kaum erwarten, den heiligen Bezirk des Großen Gottes Osiris zu betreten.
Im Vorhof fiel ihr Blick auf die Statue des Gottes. Einem inneren Impuls folgend, wollte sie schon auf sie zutreten, aber der Wab-Priester, der sie am Eingang in Empfang genommen hatte, warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Seufzend folgte sie ihm zu der unscheinbaren Pforte im Bereich des Säulengangs, von wo aus sie zu den Unterkünften und Werkstätten der Priesterschaft gelangten.
Der Weg führte vorbei am Heiligen Becken, aus dem die Priester jeden Tag das Wasser zur rituellen Reinigung der Kultinstrumente nahmen. Es diente zum Besprengen des Tempelbodens und wurde für ihre eigenen Waschungen eingesetzt, die sie viermal
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