Das Geschenk des Osiris
die Augen. »Hast du denjenigen gesehen, der dich niedergeschlagen hat?«
Amunhotep griff nach seiner Schreibtafel.
Nein. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass jemand hinter mir steht, und wollte mich umdrehen. Ich habe nur einen Schatten wahrgenommen; dann verspürte ich einen starken Schmerz, und es wurde mir schwarz vor Augen.
»Schade«, entgegnete Ramses und kam zu seinem eigentlichen Anliegen. »Hat sich deiner Dienerin der Große Gott Osiris noch einmal gezeigt?«, wollte er wissen, und Amunhotep schüttelte verneinend den Kopf.
Aber sie ist nicht nur mir, sondern auch ihm inzwischen völlig treu ergeben und betet ihn an
, schrieb er auf seine Tafel und reichte sie dem Pharao.
»Ich hoffe doch, auch mir?«, fragte dieser zurück, nachdem er es gelesen hatte, und erneut bestätigte Amunhotep mit einem Nicken. »Ich war in allen Heiligtümern des Landes und habe mich in den geheimen Schriften belesen, doch nur in Hermopolis, im Tempel des Thot, habe ich etwas Neues finden können.« Ramses reichte Amunhotep seine Schreibtafel zurück. »Der dortige Oberpriester zeigte mir uralte Schriften, in denen verzeichnet steht, dass das letzte Mal vor 1460 Jahren ein von den Göttern gesandtes Wesen auf der Erde erschienen ist, um dem Pharao, dem Sohn des Re auf Erden, zu dienen. Ich habe mich sofort an die Arbeit gemacht und konnte in Erfahrung bringen, welcher meiner Vorfahren zu jener Zeit gelebt und über die Beiden Länder geherrscht hat.«
Bei diesen Worten leuchteten Amunhoteps Augen auf. Er nickte eifrig und zeigte aufgeregt mit dem Zeigefinger auf sich selbst. Dabei entrangen sich seinem Mund für Ramses unverständliche Worte.
Kurz entschlossen griff Amunhotep nach seiner Tafel und ritzte eilig die folgenden Worte in die weiche Oberfläche ein:
Am Abend vor dem Überfall auf mich, ist mir Osiris im Vorhof erschienen. Er sprach von der gleichen Zeitspanne. Ich eilte daraufhin in das Heiligtum von Osiris Sethos I., um nachzusehen, wer damals regiert hat. Sein Namen lautet Cheops.
Er reichte Ramses die Tafel.
»Auch ich stieß auf den Namen meines berühmten Vorfahren«, bestätigte Ramses, nachdem er den Text gelesen hatte. »Osiris Cheops, jener Pharao, der das mächtigste Bauwerk der Welt errichtet hat. Auch ihm erschien ein Gott am Abend der Beisetzung seines Vaters im Traum und teilte ihm mit, dass er ihm ein Geschenk machen wolle. Es war damals der Große Gott Thot, der im Auftrag von Re ein Wesen halb Gott und halb Mensch auf die Erde sandte, um Cheops, seinem Sohn Chephren und dessen Sohn Mykerinos den Plan zum Bau der drei großen Pyramiden zu geben. Es sollte ihnen mit seinem Wissen und Können dabei behilflich zu sein.«
Ramses war nicht der fragende Blick Amunhoteps entgangen, als er davon gesprochen hatte, dass Osiris Cheops auch ein Gott am Abend der Beisetzung seines Vaters erschienen sei, und so fügte er erläuternd hinzu: »In jener Nacht zeigte sich mir der Große Gott Osiris im Traum und machte mir deine Dienerin zum Geschenk. Ich habe es dir nicht erzählt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich die richtige Frau gefunden hatte. Osiris sprach nur davon, dass ich in Theben eine Frau finden sollte, der die Todesstrafe für ein Verbrechen droht, das sie nie begehen wollte. Noch in derselben Nacht beauftragte ich Nehi, sich alle Gerichtsunterlagen geben zu lassen und sie durchzuarbeiten, um diese Frau ausfindig zu machen.«
Weiß Nehi Bescheid?
»Nein. Ihm wird aber nicht entgangen sein, dass mir etwas an deiner Dienerin gelegen ist. Das Gleiche gilt für diesen Richter Thotmose, der inzwischen zum Obersten Richter von Theben aufgestiegen ist.«
Amunhotep nickte verstehend und streckte die Hand nach seiner Schreibtafel aus, doch diese war mit heiligen Zeichen überfüllt. Er nahm sich eine neue.
Ist dir bekannt, was es mit der göttlichen Zeitspanne von 1460 Jahren auf sich hat?
Ramses bejahte. »Der Hohepriester des Thot hat mir auch das erklärt. 1460 Jahre ist die Periode des Sothis-Sterns, dessen Erscheinen am Horizont für uns der Beginn eines neuen Jahres und das Einsetzen der Flut markiert. Wir teilen unser Jahr in 365 Tage ein, so wie uns das der Gott Thot gelehrt hat. Der Erste Prophet erklärte mir jedoch, dass das nicht ganz exakt sei. Die Priester haben festgestellt, dass ein Jahr eigentlich um einen Viertel Tag länger ist. Und so müssen genau 1460 Jahre vergehen, ehe Sonnenaufgang, Erscheinen des Sothis-Sterns am Horizont und das Einsetzen der Nilflut am selben Tag
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