Das Geschenk des Osiris
gut verheilt, aber sein rechtes Bein und der rechte Arm gehorchten ihm noch immer nicht vollständig. Dennoch machte Amunhotep Fortschritte, wenn er mit Satras Hilfe seinen täglichen Übungen zur Kräftigung seiner Muskulatur nachkam. Inzwischen konnte er seine rechte Hand ganz gut bewegen und bereits einen kurzen Moment alleine stehen.
Satra hatte sich für ihn dieses Training seiner behinderten Körperpartien ausgedacht und war anfangs auf den Unmut und Widerstand des Schatzmeisters und des Obersten Arztes gestoßen. Beide Priester empfanden es als Anmaßung und Einmischung in ihr Aufgabengebiet durch eine unbedeutende Dienerin, die zwar ein heiliges Mal auf ihrem Oberarm trug, deshalb aber noch lange keine Gelehrte oder Heilkundige war. Netnebu hingegen begrüßte Satras Anstrengungen, und schon bald war auch Paheri nicht mehr dagegen, da die Übungen Wirkung zu zeigen begannen.
Nur beim Sprechen wollte sich keine Besserung einstellen. Wenn Amunhotep den Mund öffnete, entrangen sich ihm nur unverständliche, raue Töne, die, außer Satra, niemand deuten konnte. Sie war ihm in den vergangenen Monaten nicht von der Seite gewichen und hatte ihn inzwischen verstehen gelernt. Nun fungierte sie als Übersetzer, wenn Amunhotep es nicht vorzog, seine Anweisungen auf einer Schreibtafel niederzuschreiben.
Ipuwer sah indes missmutig die ständige Verbesserung von Amunhoteps Gesundheitszustand. Er befürchtete, dass der junge Oberpriester schon bald wieder in der Lage sein könnte, ihm die Zügel aus der Hand zu nehmen, um selbst die Priesterschaft zu führen.
Und Ipuwer war wütend, wütend auf Dedi, der es nicht geschafft hatte, Amunhotep tödlich zu verletzen, und vor allem war er erbost über Paheri. Hätte dieser seinem Schwur Folge geleistet, wäre Amunhotep gar nicht erst am Leben geblieben. Stattdessen hatte er ihm das Leben gerettet.
Zu allem Unglück trug nun auch noch die Leibdienerin des Oberpriesters ein heiliges Mal und besaß die Kraft und die Magie, ihren Gebieter zu heilen. War sie als Ungläubige in den Tempel gekommen, so schien sie jetzt Osiris ehrlich und aufrichtig zu verehren. Zu allem Überfluss hatte der Pharao auch noch angeordnet, dass die Wache aus dem Amunhoteps Schlafgemach entfernt werden sollte, da von Satra keine Gefahr ausgehen würde. Somit wusste Ipuwer nicht mehr, was dort geschah. Vielleicht sollte er versuchen, sich dieser Frau zu entledigen, aber der Große Gott Osiris wachte anscheinend persönlich über sie. Bisher war sie immer mit dem Leben davongekommen.
Ipuwer hatte lange darüber gegrübelt und war zu dem Schluss gekommen, dass er neue Verbündete brauchte. Dieses Mal mussten es Leute sein, die nicht unter Gewissensbissen litten und zu ihrem Wort stehen würden. Vor allem mussten sie daran interessiert sein, dass entweder Amunhotep oder seine Dienerin vernichtet wurden, besser noch beide.
Paheri hatte sich etwas zurückgezogen und wich ihm regelrecht aus. So ganz gelang es ihm natürlich nicht. Dafür war der Tempel des Osiris zu klein. Dennoch war es Ipuwer nicht entgangen, dass der Oberste Heilkundige es tunlichst zu vermeiden versuchte, ihm zu begegnen. Ipuwer vermutete, dass Paheri inzwischen bekannt sein dürfte, wie Djefahapi über den westlichen Horizont geschickt worden war. Somit konnte er sich auch ausrechnen, wer den alten Oberpriester vergiftet hatte.
Eigentlich war es nur mit Bakens Zustimmung erlaubt, die tödlichen Substanzen aus der Arzneikammer des Lebenshauses zu entnehmen. Djefahapi hatte jedoch vor Jahren dieses Gebot geändert, sodass der Oberste Arzt seitdem eigenständig über die Gifte verfügen konnte und nicht jedes Mal den Vorsteher des Lebenshauses damit belästigen musste. Amunhotep hatte an dieser Regelung bisher nichts geändert. Ipuwer vermutete, dass sie ihm wahrscheinlich nicht einmal bekannt war. Paheri war nur noch dazu angehalten, gewissenhaft über alle Zugänge und Abgänge der tödlichen Substanzen Buch zu führen. Somit musste ihm irgendwann aufgefallen sein, dass etwas fehlte. Er hatte aber geschwiegen, da er mit Ipuwer einen Pakt eingegangen war.
»Na, Paheri«, begrüßte der Schatzmeister den Heilkundigen, »denkst du nicht wehmütig an deinen wunderschönen Landsitz vor den Toren von Abydos?«
»Was willst du?«, knurrte Paheri.
»Das weißt du genau«, zischte Ipuwer. Die beiden Männer standen sich in der Bibliothek des Lebenshauses gegenüber und beäugten sich feindselig. »Wenn du getan hättest, was ich von dir
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