Das Geschenk des Osiris
mehr weitersprechen.
»Und warum gab es diesen Stoß?«, mischte sich erneut Nubchesbed in das Gespräch der beiden Männer ein.
Lasch zuckte ihr Stiefsohn mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, und auch der Schiffsführer kann es sich nicht erklären. Vielleicht wurde das Boot von einer der Echsen gerammt, vielleicht aber auch nicht.«
»Na also«, behaarte Nubchesbed stur, »ich habe es doch gesagt, diese Tochter des Seth hat meinen Enkel getötet.« Beschwörend wandte sie sich an ihren leiblichen Sohn. »Sie ist ein böser Dämon, Ramses. Du solltest sie auf der Stelle töten lassen. Sie hat die Götter beleidigt, sie hat auf das Leben des Mächtigen Horus ’ , deinen Vater, einen Schwur geleistet, und noch am selben Abend verstarb der Pharao. Sie wurde uns von den Mächten des Bösen gesandt, um Unglück über unsere Familie zu bringen. Töte sie, Ramses, sonst wird noch mehr Unheil passieren.« Beinahe flehend sah sie zu ihrem Sohn.
»Ich werde sie nicht töten, Mutter, nicht bevor ihre Schuld eindeutig bewiesen ist, und laut Aussage meines Bruders ist sie unschuldig.«
»Das ist doch alles leeres Geschwätz. Willst du deinen eigenen Bruder des Mordes an deinem Sohn bezichtigen?« Nubchesbeds flehender Gesichtsausdruck war einem herausforderndem gewichen.
»Nein, Mutter, ich werde Merenptahs Aussage aber nicht einfach ignorieren und jemand für etwas büßen lassen, was er nicht getan hat. Das wäre gegen die Maat!«
»Ach, rede doch nicht solchen Unsinn, Ramses. Halte lieber deinen Mund und ...« Entsetzt sah die alte Königin ihren Sohn an und verstummte.
Ramses warf ihr einen strengen Blick zu, sagte aber nichts, denn ihm war klar, warum seiner Mutter eine solche Unverschämtheit über die Lippen gekommen war. Sie hatte ihren ältesten Enkel über alles geliebt und konnte seinen Tod nicht verwinden. Trotzdem stand auch ihr ein derartiges Verhalten dem Pharao gegenüber nicht zu. Dieses eine Mal wollte er jedoch darüber hinwegsehen.
»Verzeih, Majestät«, flüsterte Nubchesbed, hielt ihren Kopf aber dennoch stolz erhoben.
»Verlasst mich jetzt«, wies Ramses an, »und haltet den Mund über das, was Merenptah gesagt hat. Die Dienerin wird nicht angerührt. Ich werde mir überlegen, was mit ihr geschieht.«
»Was musst du darüber nachdenken?«, zeterte Nubchesbed, für die eindeutig feststand, dass die Leibeigene ihren Enkel auf dem Gewissen hatte.
»Schweig endlich!« Ramses Geduld und Nachsicht waren erschöpft. »Du bist zwar meine Mutter, aber ich bin der Herr der Beiden Länder, und du wirst mir den gleichen Respekt entgegenbringen wie alle anderen meiner Untertanen auch.« Er funkelte Nubchesbed wütend an. »Hast du das verstanden?«
Nubchesbed antwortete nicht. Sie reckte ihm trotzig ihr kleines rundes Kinn entgegen, drehte sich um und verließ kerzengerade die königliche Kajüte.
Merenptah wollte ihr folgen, doch Ramses hielt ihn zurück.
»Sage Juri, er soll Isis’ Leibdienerin herschicken und sich dann auf die Suche nach dem Oberpriester des Osiris machen.«
Der Prinz verneigte sich und ließ das Königspaar in seiner Trauer zurück.
»Was wirst du tun?«, fragte Isis unter Tränen, als sie alleine waren.
»Ich weiß es noch nicht, geliebte Schwester.« Er strich ihr zärtlich übers Haar und küsste sie sanft auf die Stirn.
* * *
Die hohen Würdenträger, der Rest der königlichen Familie und die Dienerschaft verharrten in stiller Trauer unweit der königlichen Barke.
Bintanat hatte sich etwas abseits hingehockt und weinte bitterlich. Ihre Dienerin wagte nicht, sie anzusprechen, und wartete demütig in geziemendem Abstand zu ihr. Als die Prinzessin hochsah, erblickte sie Amunhotep, der von seinem Schiff die Laufplanke herunterkam und unschlüssig stehen blieb. Sofort sprang sie auf, lief zu ihm hin und warf sich ihm schluchzend an den Hals.
»Es ist so schrecklich!«, jammerte sie und drückte sich an den Körper des Priesters. »Warum nur sind die Götter so grausam?«
Amunhotep zuckte mit den Schultern und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Nutzte Bintanat die Situation nur aus oder war sie tatsächlich auf seine tröstenden Worte angewiesen? Er war sich unschlüssig und stand mit hängenden Armen da.
»Diese Bestien haben seinen kleinen Körper zerrissen und sein Herz gefressen. Wie soll es nun gegen die Feder der Göttin Maat gewogen werden?« Ein erneuter Weinkrampf schüttelte Bintanats schlanken Körper. »Und sein Ba kann nie mehr unter
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