Das Geschenk des Osiris
den Lebenden weilen. Diese elenden Geschöpfe des Gottes Seth! Warum mussten sie Ramesse töten?«
Amunhotep spürte ihren warmen Atem und ihre Tränen auf seiner Brust. Noch immer war ihm nicht klar, ob Bintanat dieses traurige Ereignis zum Anlass nahm, um ihm nahe zu sein. Er wollte ihr aber auch nicht eiskalte Berechnung in Anbetracht des schrecklichen Ereignisses unterstellen und legte ihr tröstend den rechten Arm um die Schulter.
»Unser Schicksal liegt in den Händen der Götter«, antwortete er. »Es ist alles vorherbestimmt. Doch vergiss nicht, Hoheit, die Krokodile sind auch die heiligen Geschöpfe des Großen Gottes Sobek. Es steht geschrieben, dass ein reines Herz, das von einem seiner Geschöpfe gefressen wird, auch ohne das Wiegen in das Reich des Osiris eingehen wird.«
»Ist das wahr, Amunhotep?« Bintanat hatte den Kopf gehoben und schaute den Priester aus verweinten Augen traurig an. »Dann werden wir ihn also wiedersehen, wenn auch wir zu Osiris gegangen sind?«
Amunhotep bejahte.
Befriedigt legte die Prinzessin wieder ihren Kopf an seine Schulter, und er ließ sie gewähren.
* * *
Satra lag noch immer bewusstlos im Heck des Schiffes. Unzählige Fliegen und Stechmücken labten sich an ihrem Blut, das aus den ihr zugefügten Wunden am Kopf und am Körper geflossen war und nun durch die Hitze zu trocknen begann.
Prinz Hori, zweitältester Sohn des Pharaos, hatte sich auf die Barke der Getreuen begeben, von der sein Bruder in die Rachen der Ungeheuer gefallen war. Er war neun Jahre alt und ein kluger, wissensdurstiger Knabe. Er trat auf die am Boden liegende Frau zu und hockte sich neben sie. Hori wusste nicht, ob sie noch lebte, aber dann bemerkte er, dass sich ihr Brustkorb leicht hob und senkte. Mitleidig sah er auf ihren geschundenen Körper, erhob sich wieder und winkte einen Diener heran, dem er befahl, sich um die Wunden der Frau zu kümmern und ihren Körper anschließend mit einem Laken zu bedecken, damit sich das Ungeziefer nicht wieder auf ihm niederließe. Dann wandte er sich um und ging zu seinem Erzieher zurück, der etwas abseits stand, aber alles gehört und gesehen hatte.
Ungläubig musterte er das Kind. »Warum hast du das getan, mein Prinz?«
»Weil mir die Frau leidtut«, erwiderte der Knabe.
»Aber sie ist schuld am Tod deines Bruders«, hielt der Erzieher dagegen.
»Ihre Schuld ist noch nicht erwiesen«, merkte der Prinz völlig ernst an und sah zu ihm auf. »Selbst wenn sie schuldig ist, so darf ihr niemand ärztliche Hilfe verwehren, vor allem keiner aus der Familie des Pharaos.«
Verlegen senkte der königliche Erzieher den Blick und errötete leicht. Da hatte ihm sein erst neunjähriger Schüler soeben eine gehörige Lektion erteilt, und er musste sie über sich ergehen lassen, denn der Prinz hatte recht.
Hori drehte sich um und verließ das Schiff, und kopfschüttelnd folgte ihm der Erzieher zurück an Land.
* * *
Amunhotep wurde von einem Diener unterrichtet, dass der Pharao ihn sehen wollte. Sacht schob er die Prinzessin von sich, die noch immer ihren Kopf an seine Schulter gelehnt hatte und leise schluchzte.
»Hoheit, ich muss dich jetzt allein lassen.«
»Danke, Amunhotep«, erwiderte Bintanat leise, löste sich von ihm und schlurfte zurück zu ihrer Dienerin. Amunhotep sah ihr kurz hinterher und folgte dann dem Diener.
Als er die königliche Barke betrat, kam ihm der Pharao bereits entgegen. Amunhotep verneigte sich, denn als Einzigem Freund des Königs hatte dieser ihm die Gunst gewährt, vor ihm nicht im Staub liegen zu müssen.
Ramses nahm ihn beim Oberarm und führte ihn zum Heck des Schiffs, wo sie unbelauscht miteinander reden konnten.
»Es tut mir unendlich leid.« Amunhotep suchte nach den rechten Worten, aber der König winkte ab.
»Ich weiß, Amunhotep, ich weiß.« Er sah seinem Freund aus Kindertagen in die Augen und wusste, dass dieser genauso litt wie er selbst. »Die Götter haben es so gewollt, und wir können nichts dagegen tun.« Er legte dem Priester die Hand auf die Schulter und schaute an ihm vorbei über den Fluss.
»Was wirst du jetzt tun?«
»Was sollte ich tun?« Ramses ’ Frage klang ernüchtert. »Mein Sohn ist tot, und nichts macht ihn wieder lebendig. Wir haben noch nicht einmal seinen kleinen Körper, um ihn für die letzte Reise bereitzumachen.« Er schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter und fuhr sich betreten übers Gesicht.
»Er wird trotzdem in den Schönen Westen gelangen«, versuchte der
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