Das Geschenk des Osiris
Merenptah hatte daraufhin um eine Audienz beim Pharao gebeten und sich diesem zu Füßen geworfen. Er hatte ihn angefleht, einem fähigeren Mann den Posten zu übertragen, aber Ramses hatte nicht zugestimmt. Erneut hatte er Merenptah sein Vertrauen ausgesprochen und ihm befohlen, auch weiterhin gewissenhaft sein Amt zu versehen.
Am schlimmsten war für den Prinzen, dass Isis ihn nicht sehen wollte. Merenptah war sich sicher, dass seine Schwester ihn ebenfalls für schuldig hielt. Nur der Pharao war von seiner Unschuld überzeugt.
Müde strich er sich übers Gesicht.
»Warum, ihr Götter?«, murmelte er niedergeschlagen vor sich hin und sah zu dem Schrein, der in einer Ecke seines Schlafgemaches stand, und sowohl eine Statue seines Schutzgottes Ptah als auch eine des Amun beherbergte. »Warum nur habt ihr zugelassen, dass Seth seine Geschöpfe auf uns hetzt und sie den Thronfolger töten?«
Fragend ruhte sein Blick auf dem hölzernen, mit Gold und Silber verzierten Schrein, als erwartete er eine Antwort aus seinem Innern. Statt einer Antwort klopfte es wenig später an der Tür, und sein Haushofmeister kam leise ins Zimmer gehuscht und verneigte sich vor ihm.
»Hoheit, soeben erschien ein königlicher Bote. Seine Majestät verlangt umgehend, dich zu sehen.«
Der Prinz folgte seinem Hausverweser in die Vorhalle, wo ein Mann in mittleren Jahren auf ihn wartete, um ihn in die königlichen Gemächer zu geleiten.
Ramses empfing seinen Halbbruder in seinem Arbeitszimmer, das vorher seinem Vater gehört hatte und in dem noch immer die Anwesenheit des Großen Horus ’ zu spüren war. Ein wuchtiger Arbeitstisch bildete den Mittelpunkt des Raums. Er war aus edlen Hölzern gefertigt und eines Königs würdig, genau wie der kunstvoll verzierte Stuhl, auf dem Ramses saß und seinem Gast entgegensah. Ein paar Truhen, entlang den Wänden aufgereiht, enthielten wichtige Dokumente. Es gab einen kleinen Schrein im hinteren Teil des Zimmers und ein Kohlenbecken für die kühlere Jahreszeit, einen kleinen Tisch sowie zwei einfache Stühle für eventuelle Besucher.
»Die Getreuen Meiner Majestät sollen sich reisefertig machen!«, kam Ramses sofort zur Sache. »Wir ziehen in den Krieg!«
»Krieg?« Ungläubig schaute Merenptah zu seinem königlichen Bruder. »Gegen wen?«
»Ich habe beunruhigende Nachrichten aus der westlichen Wüste erhalten. Libysche Stämme rotten sich zusammen und bereiten sich darauf vor, ins Delta einzufallen. Ich werde mich umgehend mit den Divisionen des Re und des Ptah nach Westen begeben, um die Gefahr von Kemi abzuwenden. Die Truppen der Amun-Division werden den Feind umgehen und sich ihm vom Süden her nähern, um ihm in die Flanke zu fallen. Die Division des Seth wird sie dabei unterstützen.« Ramses ballte die Fäuste. »Ich werde diesen Fremdländern schon zeigen, dass auch mit mir in Fragen der Sicherheit meines Landes nicht zu spaßen ist.«
Er erhob sich von seinem Stuhl und kam hinter seinem Schreibtisch vor, um auf Merenptah zuzutreten.
»Ich will, dass du hier in Per-Ramses bleibst und über die königliche Familie wachst. Wähle die fähigsten Männer unter den Getreuen aus, und sorge während meiner Abwesenheit für den Schutz unserer Familie.«
Merenptah nickte. »Ich habe verstanden, Ramses, und werde tun, was du befiehlst.« Betreten sah er zu Boden, und der Pharao legte ihm die Hände auf die Schultern.
»Merenptah«, versicherte er ihm, »glaube nicht, dass ich dich in der Schlacht entbehren könnte, aber der Schutz der Königin und meiner Kinder geht vor.« Er sah ihm fest in die Augen. »Du hast hier in Per-Ramses eine verantwortungsvolle Aufgabe. Ich weiß, dass du sie gut erfüllen wirst.«
Der Oberst seiner Leibwache lächelte matt. »Ich werde mein Bestes tun.«
»Dann gehe, Bruder, und befolge meine Befehle!«
* * *
Eine Woche später säumten die Bewohner der Königsstadt die Straßen, um dem Abzug der Divisionen beizuwohnen und ihrem Pharao Glück und Erfolg zu wünschen.
Ramses stand hocherhobenen Hauptes auf seinem Streitwagen, und hatte seinen reich verzierten ledernen Waffenrock angelegt. Er war mit Metallplättchen verstärkt und reichte ihm von den Schultern bis zu den Knien. Auf dem Kopf trug er die blaue Krone, die sich wie ein Helm seiner Kopfform anpasste und von dem goldenen Uräus über der Stirn geziert wurde. Seine Füße steckten in festen weißen Lederstiefeln, und die Unterarme waren mit ledernen Armschienen geschützt.
Die Gedanken des
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