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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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Herzen, so elend war ihr zumute. Niemand aber erhörte sie. Alles war ruhig. Kein einziges Geräusch drang an ihre Ohren. Niemand war da, um sich ihrer anzunehmen – kein Mensch und auch kein Gott. Warum also sollte sie an Gott oder an die Götter des Schwarzen Landes glauben, wenn diese sich nicht um sie kümmerten? Sie war ohne Götter aufgewachsen und würde erst deren Existenz akzeptieren, wenn sie einem begegnen sollte.
    Sie wandte den Blick vom Himmel zur weiß gestrichenen Decke ihres Zimmers, und mit einem Mal fielen ihr die letzten Ereignisse ein, bevor die Männer mit ihren Rudern über sie hergefallen waren, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie sah die kleine Hand des Knaben, die sich Halt suchend nach ihrer ausgestreckt hatte. Sie hörte das klatschende Geräusch, als sein Körper auf die Oberfläche des Wassers gefallen war. Sie sah seinen Kopf aus dem von den Krokodilschwänzen gepeitschten Wasser des Nil wieder auftauchen, sah, wie diese Bestien sich auf ihn gestürzt hatten, um ihn schließlich mit sich nach unten zu ziehen. Und sie hörte die Schreie des Jungen – angstvoll, Grauen erregend und schmerzverzerrt.
    Die Tränen rannen Satra die Schläfen herunter, und sie schloss die Augen und hoffte, wieder in jene Bewusstlosigkeit zu sinken, die ihr die Schmerzen nehmen und sie nicht mehr daran denken lassen würde.
    Irgendwann schlief sie ein, ein unruhiger von schrecklichen Bildern geplagter Schlaf, der kurz vor Sonnenaufgang durch das Stimmengewirr von Männern beendet wurde, die draußen an ihrer Tür vorübereilten.
    Schlaftrunken blinzelte sie in die sich allmählich ausbreitende Helligkeit im Raum. Warum war sie hier? Wieso musste ausgerechnet ihr so etwas Wahnwitziges passieren? Wenn sie sich wenigstens jemandem offenbaren könnte – diesem Richter hätte sie sicher die Wahrheit erzählt –, doch es war, als sollte sie ihr Geheimnis für sich behalten.
    Kurze Zeit später öffnete sich die Tür, und sie sah ein Paar dunkle, mit Sandalen aus Binsen bekleidete Füße, die neben ihrem Lager stehen blieben. Sie hob den Blick, und der freundliche Nubier hockte sich neben sie und lächelte sie wieder an.
    »Na, hast du endlich ausgeschlafen?«
    Dankbar für seine Anwesenheit sah Satra ihn an. Hinter dem Mann war ein anderer in den Raum getreten und sah von oben auf sie herab.
    »Wie geht es dir?«, fragte er, doch Satra vermochte ihm nicht zu antworten. »Gib ihr etwas Brühe zu trinken!«, wies er den Nubier in befehlendem Ton an. »Aber pass auf, dass sie langsam und nicht zu viel trinkt. Das würde ihr nicht gut bekommen.« Er drehte sich um und verschwand.
    Der dunkelhäutige Mann erhob sich ebenfalls und folgte ihm.
    Was waren das für Männer? Sie sahen aus wie Priester mit ihren kahl rasierten Schädeln. Befand sie sich etwa in einem Tempel? Aber wieso?
    Der Nubier erschien wieder und hielt eine Schale mit dampfendem Inhalt in der Hand. Ihm folgte ein junger syrisch anmutender Mann, der eine Schüssel und weiße Tücher sowie ein Salbgefäß in den Händen hielt.
    »Stelle es da hin«, wies der Nubier ihn an, und der andere gehorchte und verschwand.
    Der dunkelhäutige Mann ging neben Satras Lager auf die Knie und stellte die Schale auf dem Boden ab.
    »Das ist noch zu heiß«, murmelte er mehr zu sich selbst. »Ich werde dich erst waschen und salben. Anschließend wird es so weit abgekühlt sein, dass du es trinken kannst.«
    Er zog die mit Wasser gefüllte Schüssel näher zu sich heran und begann ihr Gesicht vorsichtig mit einem Tuch abzutupfen. Dann widmete er sich den restlichen Körperteilen, die nicht von Binden bedeckt waren. Zuletzt trug er ihr eine Salbe auf die Haut auf, die nach altem, ranzigem Fett roch.
    Angewidert rümpfte Satra die Nase, doch er bemerkte es nicht.
    Als Satra endlich die Trinkschale an ihren spröden Lippen fühlte und gierig die warme Flüssigkeit trank, verschluckte sie sich und musste husten, was ihr unsägliche Schmerzen im Brustkorb verursachte. Der Nubier nahm flink die Schale von ihrem Mund, stellte sie neben sich und klopfte vorsichtig auf ihren Rücken. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, trank sie drei winzige Schlucke, und der Mann bettete sie auf die Matte zurück.
    Völlig erschöpft schloss Satra die Augen und war bald darauf wieder eingeschlafen.
    Gegen Mittag wurde sie erneut wach. Sie fühlte sich besser und verspürte so etwas wie ein Hungergefühl, doch niemand war da. Also starrte sie an die weiße Decke und hing ihren

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