Das Geschenk des Osiris
Königs gingen zu seiner Gemahlin, die sich nur schweren Herzens und unter Tränen von ihm getrennt hatte. Sie hatte jedoch eingesehen, dass die Sicherung der Landesgrenzen Vorrang vor der Trauer um ihren Sohn hatte. Nubchesbed hatte sich da weniger verständnisvoll gezeigt. Seine Mutter hatte ihm unterstellt, dass er nur die Situation ausnutzen würde, um dem Palast und der Trauer zu entfliehen. Ganz unrecht hatte sie damit nicht.
Ramses war froh, die hohen Mauern des Palastbezirks hinter sich zu lassen und die nächsten Wochen mit den Soldaten verbringen zu können. Zu viel Schmerz war in letzter Zeit über die königliche Familie gekommen. Auch er trauerte um Ramesse. Er konnte aber nicht mehr länger das Wehklagen der Frauen ertragen und dankte fast den libyschen Rebellen, dass sie einen Krieg gegen das reiche Land am Nil angezettelt hatten.
Vor allem aber war er froh, für die nächsten Wochen seiner Mutter nicht mehr zu begegnen. Nubchesbed hatte acht Jahre an der Seite ihres Gemahls gesessen und die Geschicke des Landes mitverfolgt und auch beeinflusst. Sie war eine strenge Königin gewesen, die keine Widerrede duldete, aber sie hatte stets im Sinne der Maat gehandelt. Die Menschen hatten sie gefürchtet, aber auch geliebt, denn zu jeder Zeit war sie eine würdige Große Königsgemahlin gewesen. Seit dem Tod ihres geliebten Enkels allerdings schien sie wie verwandelt. Sie war zänkisch und launisch geworden, reagierte auf die kleinste Bemerkung selbst ihm, dem Pharao, gegenüber schnippisch und unbeherrscht. Sie war nicht mehr die Frau, zu der Ramses einst voller Bewunderung aufgeschaut hatte. Nubchesbed hatte es ihm nicht verziehen, dass er die leibeigene Frau nicht mit dem Tode bestraft hatte. Ihr allein gab Nubchesbed die Schuld am Tod ihres Enkels und ihres Gemahls.
Ramses hatte dafür kein Verständnis. Von seinem Halbbruder wusste er, dass die Verurteilte seinem Sohn hilfreich die Hand hatte reichen wollen, und dass der Schwur dieser Frau vor einem Gericht seinem Vater den Tod gebracht haben sollte, bezweifelte er. Ramses hoffte, dass seine Mutter wieder zu sich selbst finden würde, wenn die Trauerzeit vorüber war und die Zeit den Schmerz um den Verlust eines geliebten Menschen gelindert hatte.
Er sah hinauf zum Himmel, wo der Große Gott Re zusammen mit seinem Vater in der Götterbarke seine Tagfahrt angetreten hatte.
Vater, dachte er, bitte kümmere dich um meinen Sohn. Er hat dich immer geliebt und verehrt.
Seine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen, aber er bezwang den Wunsch, seinem Schmerz freien Lauf zu lassen. Dann gab er das Signal zum Abmarsch der Truppen.
* * *
Richter Thotmose, der nach der Thronbesteigung des neuen Pharaos zum Obersten Richter von Theben aufgestiegen war, saß in seiner Amtsstube und machte sich Gedanken darüber, wie er in Erfahrung bringen konnte, woher das Gift stammte, mit dem der syrische Kaufmann Ibiranu getötet werden sollte. Von wem nur hatte es Senbi bekommen? Thotmose hatte vom Wesir persönlich den Auftrag erhalten, dieser Sache auf den Grund zu gehen, aber nach fast zwei Monaten war er noch nicht einen Schritt weitergekommen.
Er hatte sich nach Opet-sut begeben und dort mit dem Zweiten Propheten gesprochen, doch Nesamun hatte ihm nicht weiterhelfen können. Nirgendwo war ein Hinweis zu finden gewesen, dass das Gift aus dem Lebenshaus des Amun-Tempels stammte. Auch im Heiligtum der Mut und in den anderen kleineren Tempeln Thebens war niemandem aufgefallen, dass Gift entwendet worden sei. Jede Entnahme dieser Leben spendenden, aber auch todbringenden Substanzen wurde peinlichst genau registriert und durfte nur mit Zustimmung des Vorstehers des Lebenshauses erfolgen. Woher also stammte es?
Es gab in der größten Stadt des Südens jede Menge zwielichtiger Gestalten, die sich geschickt versteckt hielten, sodass sie den Ordnungshütern des Pharaos nicht ins Netz gingen. Wer von ihnen hatte die Möglichkeit gehabt, Senbi das Gift zu besorgen?
Es klopfte, und ein Schreiber erschien, der eine versiegelte Schriftrolle in den Händen hielt. Ein Blick genügte Thotmose, um zu erkennen, dass sie von Nehi kam.
Nachdem der Schreiber seine Amtsstube wieder verlassen hatte, entrollte Thotmose das Schriftstück und stellte zufrieden fest, dass der Wesir seinem Vorschlag zugestimmt hatte. Sofort begab er sich mit dem Schreiben zum Vorsteher der Medjai Thebens, um diesen von seinem gewagten Vorhaben in Kenntnis zu setzen.
Der Oberste Richter hatte
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