Das Geschenk des Osiris
sein.«
Mühsam kam Nesamun hoch und griff nach seinem Amtsstab, den er als Gehstock zu benutzen pflegte.
»Ich werde dir gleich morgen diese Schriftrolle zukommen lassen. Beeile dich, Amunhotep. Bringe in Erfahrung, ob tatsächlich die Zeit gekommen ist, dass uns ein Wesen von den Göttern gesandt wurde, auch wenn es sich dabei nur um eine Sterbliche handeln soll. Finde heraus, mein Sohn, ob deine Dienerin von Osiris auserwählt wurde. Ich hoffe, dass es so ist.«
Er legte Amunhotep die Hand auf die Schulter und drückte sie. Dann zog er sich zurück, und Amunhotep begab sich nachdenklich in sein Gemach, das ihm sein Vater in seinem Haus zur Verfügung gestellt hatte.
Am folgenden Morgen legte Amunhotep seinem Großvater seine Probleme mit dem Bauholz dar, und der Erste Prophet versprach, sofort Material nach Abydos zu schicken. Damit war der Zweck der Reise erfüllt. Am Nachmittag erhielt er von Nesamun das versprochene Empfehlungsschreiben, mit dem er sich sogleich zu seiner Barke begab, um nach Abydos zurückzukehren.
NEUNZEHN
Ipuwer war aufgefallen, dass die Dienerin des Oberpriesters fast jeden Abend an dem kleinen Teich im Park saß und die Enten beobachtete oder einfach nur auf das Wasser starrte. Die anderen Priester hatten anfangs mürrisch geschaut; einer Leibeigenen stand es für gewöhnlich nicht zu, sich im Park aufzuhalten. Da sie aber nur einfach still dort saß und keinen Unfug trieb, hatten sie nichts weiter gesagt und sich inzwischen daran gewöhnt.
Dieses Jüngelchen, dachte der Schatzmeister gehässig, nimmt sich eine Frau als Leibdienerin. Er lachte boshaft und begab sich zu den Arbeitsräumen des Oberpriesters.
Am Spätnachmittag hatte die Barke des Tempelvorstehers am Anleger festgemacht, und Amunhotep hatte sich in sein Haus im Tempelbezirk begeben, wo er Ipuwer durch einen Diener hatte ausrichten lassen, dass er ihn eine Stunde später sprechen wolle.
Als der Schatzmeister erschien, saß Amunhotep in seinem wunderschönen Sessel hinter dem großen Schreibtisch aus kostbarem Sykomorenholz, während sich sein Schreiber zu seinen Füßen niedergelassen hatte und darauf wartete, alles Wichtige aufzuzeichnen.
»Hattest du eine angenehme Reise?«, fragte Ipuwer betont freundlich, und der Vorsteher der Osiris-Priester bejahte.
»Ich war bei Ramsesnacht. Er hat versprochen, unverzüglich das fehlende Holz zu schicken. Ich werde Netnebu darüber noch informieren.«
»Das ist ja wunderbar. Dann kann endlich am Heiligtum von Osiris Ramses weitergebaut werden.«
Amunhotep nickte und sah den Schatzmeister mürrisch an. Allmählich ging ihm dessen übertriebene Höflichkeit auf die Nerven. Der Oberpriester wusste, dass Ipuwer dahinter nur seinen Neid und seinen Hass gegen ihn zu verstecken suchte.
»Ich werde übermorgen meine Reise fortsetzen«, offenbarte er sich Ipuwer. »Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wann ich wieder zurück sein werde.«
Ipuwer nickte nur stumm und verkniff sich die Frage, wohin es gehen sollte. Er wusste, dass Amunhotep diese Reise nicht mehr antreten würde.
»Gab es irgendeinen Vorfall während meiner Abwesenheit?«, erkundigte sich derweil Amunhotep.
»Nein, eigentlich nicht«, druckste Ipuwer herum und wich dem Blick des Tempelvorstehers aus.
»Nun sprich schon«, forderte dieser ihn auf. »Was ist während meiner Abwesenheit vorgefallen?«
»Es war nichts Schwerwiegendes, aber ...« Verlegen sah der Schatzmeister zu Amunhotep.
»Was, Ipuwer?«
»Es geht um deine Dienerin, Satra oder wie sie heißt.«
»Was hat sie angestellt?«
Unbehaglich trat Ipuwer von einem Fuß auf den anderen.
»Du hast ihr erlaubt, ihre freie Zeit am Teich zu verbringen. Eigentlich hat keiner der Priester etwas dagegen. Gestern aber, es war schon spät und niemand mehr im Park, hat sie sich ausgezogen und ist zum Baden in den Teich gestiegen. Dedi war in meinem Haus und wollte zurück zu seinem Quartier, als er es sah. Er kam zu mir zurück und holte mich, aber da war sie schon wieder aus dem Wasser herausgekommen und lief zu deinem Haus.«
Verlegen sah Ipuwer zu Amunhotep, zwischen dessen Augenbrauen sich eine Falte zu bilden begann.
»Ich kümmere mich darum«, versprach Amunhotep. »Du darfst jetzt gehen.«
»Bestrafe sie nicht zu hart«, bat Ipuwer und lächelte nachsichtig. »Sie hat sich sicherlich nichts Böses dabei gedacht. Und es ist ja auch nur ein Teich, nicht der Heilige See von Opet-sut. Wie ich bereits sagte, die Priester
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