Das Geschenk: Roman
auf einer ebenen Hochfläche, die von den Silhouetten steiler Gipfel eingerahmt war. Mehr konnte Tom beim dichten Schneetreiben nicht ausmachen. Er murmelte ein letztes Gebet; dann legte er sich so auf Eleanor, dass sein Körper die Schneemassen so gut wie möglich von ihr abhielt. Er suchte ihre Hand und hielt sie fest. Er erinnerte sich wieder, wie er im Krankenhaus vergeblich gewartet hatte, dass seine Mutter nach dem Foto griff, und konzentrierte sich auf den Druck, den Eleanors Finger auf seine Hand ausübten. Sein Herz raste, als er daran dachte, dass dieser Druck plötzlich nachlassen könnte. Tom hatte keine Ahnung, was er tun würde, wenn Ellies Griff schwächer wurde. Vielleicht würde er sich einfach von ihr verabschieden, was er vor all den Jahren nicht getan hatte …
Sie schienen endlose Stunden im klirrenden Frost zu liegen, während der Wind über sie hinwegheulte und der Schnee auf Toms Rücken rieselte. Jede Schneeflocke war wie ein winziger Dolch, der sich in seinen Körper bohrte. Vor seinen geblendeten Augen sah Tom, wie ein kleiner Junge ihm die Hand entgegenstreckte. Manchmal gaukelte der Verstand einem solche Trugbilder vor, wenn der Tod nahe war. Es war er selbst als kleines Kind, der sein erwachsenes Selbst in die Sicherheit seiner Kindheit zurückziehen wollte. Tom hatte sich früher schon in fast aussichtslosen Situationen befunden, aber keine war so gefährlich gewesen wie diese. Wahrscheinlich, sagte er sich, war nach den zahlreichen Beinahe-Katastrophen seiner wechselvollen Karriere nun tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, Abschied zu nehmen. Er betrachtete Eleanor und küsste sie. Sie reagierte nicht, und zum ersten Mal kullerten Tränen über Toms eisige Wangen.
Das Bild des kleinen Jungen wurde deutlicher, lebendiger. Tom konnte seine Finger jetzt tatsächlich auf der Wange und den Haaren spüren. Der kleine Junge sprach mit ihm und fragte, ob alles in Ordnung sei. Die Vision war realer und deutlicher als jeder Traum, den Tom bisher gehabt hatte. Er hielt weiterhin Eleanors Hand fest, selbst dann noch, als er die eigene freie Hand nach dem jungen Tom ausstreckte und mit ihm redete.
Das Kind stieß ihn abermals an, und Toms Augen öffneten sich, schlossen sich, öffneten sich wieder. Die gleißende Helligkeit des Lichts schmerzte, so lange war es her, dass er die Sonne gesehen und ihre Wärme gespürt hatte.
»Alles in Ordnung, Mister?«, fragte der kleine Junge, der neben ihm kauerte.
Mühsam richtete Tom sich auf und schaute sich um. Das Unwetter hatte sich verzogen. Der Himmel war ein grenzenloses azurblaues Zelt, die Sonne wärmte ihn, und die Luft besaß eine eisige Frische, wie man sie nur in solchen Bergeshöhen finden kann. Tom blickte den Jungen an, unsicher, ob es im Himmel so aussah, und brachte schließlich die Frage hervor: »Was machst du denn hier draußen?«
»Ich wohne hier«, sagte der kleine Junge.
»Hier? Wo ist hier?«
Der kleine Junge deutete über Tom hinweg. »Auf der Dingo-Ranch.«
Tom blickte über die Schulter. Das weitläufige Anwesen der Ferienranch in all seiner Pracht und mit seinen wuchtigen Redwoodbauten schien ihm zuzuwinken. Eleanor und er wären beinahe in Steinwurfweite von warmen Kaminfeuern, heißer Schokolade und heißen Bädern in Schnee und Kälte gestorben.
Tom erhob sich mit zitternden Beinen und weckte Eleanor, so sanft er konnte.
»Sind wir schon tot?«, fragte sie, die Augen immer noch geschlossen.
»Nein«, entgegnete Tom. »Aber damit du’s weißt – du bist mit einem Trottel verlobt.«
Er trug sie zum Hauptgebäude, bis mehrere Erwachsene sie entdeckten und herbeigerannt kamen, um ihnen zu helfen.
Beide Enden des Tunnels erstrahlten in gleißendem Sonnenlicht, doch es lag kein Essensgeruch in der Luft, da keine Lebensmittel mehr übrig waren. Wenigstens hatte das Unwetter sich gelegt. Higgins, Roxanne, der Schaffner, Max, Misty, Lelia, Kristobal, Father Kelly und Agnes Joe saßen auf den Gleisen und berieten, was als Nächstes zu tun sei.
»Ich glaube«, sagte Father Kelly traurig, »jetzt ist es an der Zeit, einen Gedenkgottesdienst zu halten. Für Tom und Eleanor.«
Max musterte ihn gereizt. »Ich finde, dafür ist es noch ein bisschen zu früh, Padre.«
»Wenn die beiden es bis zur Dingo-Ranch geschafft hätten, wäre längst eine Nachricht von ihnen gekommen – das Wetter hat aufgeklart«, erklärte der Schaffner. »Niemand hätte so lange da draußen durchhalten können. Ich hätte sie nicht ziehen lassen
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