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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Seine Stimme war dunkel und gepreßt. In Lisa Mainetti sprang eine heiße Welle hoch und durchspülte ihren Körper. Er ist eifersüchtig, dachte sie. Professor Rusch ist eifersüchtig auf einen amerikanischen Major. Der Gedanke und dieses Gefühl machten sie noch glücklicher. Sie stieß mit James Braddock an und trank einen langen Schluck des goldgelben Whiskys. Rusch nippte nur, unlustig, mit verkniffenem Gesicht, trotzig wie ein Junge, dem Spielzeug weggenommen wurde.
    »War's nur der Whisky?« fragte Braddock, als er sein Glas geleert hatte. Dr. Mainetti lachte und setzte sich auf den Schreibtisch.
    »Ich habe Sie immer für einen besonders klugen Mann gehalten, Major«, sagte sie. »Aber was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, ist kein Versuch, Gesetze, Bestimmungen, Befehle oder was Sie sonst von Washington haben, zu verwässern oder vergessen zu lassen. Es ist nichts anderes als ein simpler Appell an Ihr Herz, weiter nichts! Ich rufe Ihr Herz, Major, Ihre Menschlichkeit …«
    »Das klingt geheimnisvoll, Miß Mainetti.« Braddock lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete eingehend Lisas Knie. »Wollen Sie mehr Kalorien für das Lazarett? Völlig unmöglich! Deutschland hat den Krieg verloren. Und nun werden die Deutschen hungern müssen, bis ihnen die Knochen erweichen. Ich kann es nicht ändern.«
    Lisa Mainetti beugte sich vor. Braddock sah im Ausschnitt ihres Kleides den Brustansatz, und sein Blick wurde irritiert. »Ich kann nicht beurteilen, ob Sie nicht in der Lage sind, zwei oder drei Kartons Lebensmittel mehr zu besorgen«, sagte sie. »Obgleich ich weiß, daß in Bernegg die Köche Ihrer Truppenkantinen jeden Tag Fett pfannenweise auf die Erde kippen und nicht gegessene gebratene Hühner vergraben.«
    »Befehl, Miß Mainetti! No fraternisation!«
    Braddock hob bedauernd beide Hände und goß neuen Whisky ein.
    »Ich weiß.« Lisa wartete, bis Braddock wieder einen langen Zug genommen hatte. »Aber es geht nicht um Essen, Major.«
    »Nicht? Haben die Deutschen denn noch wichtigere Probleme?«
    »Ich habe sie, Major. Ich persönlich.«
    Braddock nickte verständnisvoll. »Verstehe. Ich soll Ihnen eine Garnitur aus Nylon kommen lassen?«
    Einen Augenblick war selbst Lisa Mainetti verblüfft. Professor Rusch schnaufte durch die Nase und sah Lisa böse an. Aber dann lachte sie laut und bog sich in den Hüften. Braddock stellte verwundert und ein wenig beleidigt sein Glas wieder auf den Tisch zurück.
    »Warum finden Sie das so lächerlich?« fragte er laut. Jetzt werde ich ihr weh tun, dachte er zufrieden. Ihren Stolz werde ich k.o. schlagen. »Für einen Nylonschlüpfer kann man die Moral der deutschen Frau kaufen!« sagte er grob.
    Dr. Mainettis Lachen brach ab. Plötzlich war sie wieder ernst und fast unnahbar steif. Als sei sie in ihren weißen Kittel geschlüpft, dachte Braddock. Sie ist wie ein Chamäleon. Blitzschnell wechselt sie Stimmung und Aussehen. Ein phantastisches Weib.
    »Es ist traurig, Major«, sagte Lisa, »daß Sie in Deutschland nur diese Frauen kennengelernt haben. Um einen Nylonschlüpfer zu bekommen, bitte ich Sie nicht ins Lazarett. Da wär' ich zu ihnen nach Bernegg gekommen, nach Einbruch der Dunkelheit.«
    »Sorry«, sagte Braddock etwas verlegen. »Was also wollen Sie von mir? Wo soll mein Herz sprechen?«
    »Ein Verwundeter von uns, einer der ganz schwer Gesichtsverletzten, der bestimmt noch fünf Jahre braucht, um wieder wie ein halbwegs ansehbarer Mensch zu wirken, bekommt Besuch von seiner Frau.«
    James Braddock erhob sich sofort. Sein Gesicht wurde dienstlich und undurchdringlich. »Nicht erlaubt!« sagte er hart.
    »Genau das habe ich erwartet, Major. Hier spricht der Soldat, hier kommandiert der Sieger: Nicht erlaubt! Auch die Verwundeten sind POWs!«
    »Ich habe noch keine anderen Befehle erhalten, Miß.«
    »Eben darum geht es. Ich möchte keinen Befehl umgehen. Ich rufe Ihr Herz, Major!«
    »Was Sie verlangen, ist gegen jede Instruktion!« James Braddock begann, in dem großen Chefzimmer hin und her zu laufen. »Sie haben hier über 200 Gesichtsverletzte! Wenn jeder seine Frau oder seine Mutter oder seine Braut kommen ließe! Das ist ja vollkommener Irrsinn! Ein Gefangenenlager – auch ein Gefangenenlazarett – ist doch kein gemütliches Kaffeekränzchen oder kein riesiges Ehebett!«
    »Es handelt sich um eine Frau, Major. Sie ist schon unterwegs. Sie schlägt sich von Köln bis nach Bernegg durch, auf der Straße per Anhalter, mit Güterzügen, auf Zugdächern

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