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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Biegung im Treppenhaus verschwand.
    Am nächsten Tag brachte Leutnant Potkins, der ›Kommandeur‹ des Lazaretts, einen Stapel Post zu Dr. Mainetti. Major Braddock hatte ihn vom Postamt Bernegg heraufschaffen lassen, nachdem die Briefe, zum Teil schon drei Wochen alt, die Zensur seiner Schreibstube passiert hatten. Auch ein Telegramm war dabei. Es war erst vor zwei Tagen aufgegeben worden und hatte einen abenteuerlichen Weg hinter sich. Über Frankfurt, Darmstadt, Aschaffenburg nach Würzburg und von dort mit anderen Postsachen nach Bernegg.
    Lisa Mainetti betrachtete es staunend. Ein Telegramm zu dieser Zeit war seltener als ein Brillant. Entweder war die Weiterleitung ein Irrtum oder ein unsagbarer Glücksfall.
    Dr. Mainetti las den Text und zögerte. Soll man es weitergeben? dachte sie. Ist es nicht noch zu früh? Wird Major Braddock es überhaupt erlauben? Aber dann schien es ihr, als sei es nicht recht, das Telegramm zu vernichten und alles in der Stille abzuwenden. Sie faltete das Papier wieder zusammen und ging zu Stube B/14.
    Die Männer saßen beim Skat. »Die Hosen 'runter! Ich hab 'n Nullouvert!« brüllte der Berliner gerade, als Lisa eintrat. Es saß noch in den Knochen, daß Adam ›Achtung‹ rief, und die Spieler die Karten hinwarfen und aufsprangen.
    »Kinder, laßt doch den Blödsinn!« sagte Lisa Mainetti. Sie wedelte mit dem Papier und blickte sich um. »Ein Telegramm für Erich Schwabe.«
    »Für mich? Ein Telegramm?« Schwabe kam um den Tisch herum. Das Knochengerüst mit dem Periost war gut eingeheilt. In den nächsten Tagen wollten Rusch und Lisa mit der Hautdeckung beginnen. Noch immer sah das Gesicht schrecklich aus, aber es hatte wieder einen vorspringenden Teil, es war keine glatte Fläche mehr.
    Mit beiden Händen griff Schwabe zu und faltete das Papier auseinander. Dann begann er zu zittern, riß die Arme hoch, drehte sich im Kreise, umarmte Dr. Mainetti und tanzte im Zimmer herum.
    »Sie kommt!« jubelte er. »Frau Doktor, Jungs, sie kommt! Meine Uschi kommt hierher! Sie ist schon unterwegs! Meine Frau kommt, meine Frau …« Er ließ das Telegramm fallen und streckte beide Arme zu Lisa aus, als versinke er in einem rasenden Strudel. »Frau Doktor«, rief er, »Sie müssen mir jetzt einen schönen Verband machen, einen richtig schönen Verband, mit breiten Leukoplaststreifen, damit sie nicht so viel sieht. Mein Gott!« Er setzte sich auf sein Bett und legte die Hände vor das zerstörte Gesicht. »Sie kommt …«
    Der Berliner kratzte sich den Kopf. »Det is schön, Erich«, sagte er langsam. »Aba – ob die Amis se 'reinlassen? Wir sind doch ooch bloß Kriegsjefangene.«

11
    Erich Schwabe ließ die Hände sinken. »Sie werden Uschi nicht zu mir lassen«, wiederholte er leis. »Natürlich, wir sind ja jetzt Gefangene.«
    »Det is ja der Mist!« Der Berliner hieb mit der Faust auf den Tisch. »Doppelt bestraft ham se uns! Keene Fresse mehr und keene Freiheit. Ick jloobe, Jerechtigkeit is bloß noch 'n Wort im Lexikon!«
    »Was soll ich machen, Frau Doktor!« Es war ein kläglicher Schrei, der aus Schwabe herausbrach. Bitte, hilf mir, bedeutete die Frage. Nur Sie wissen jetzt Rat, nur Sie allein. Dr. Mainetti verstand ihn. Und als sie seine Augen sah, diese entsetzten, bettelnden Augen, nickte sie ihm zu und klopfte ihm auf den gebeugten Rücken.
    »Ich werde mit Major Braddock sprechen«, sagte sie. »Vielleicht läßt er Ihre Frau zu Ihnen.«
    »Vielleicht«, stammelte Schwabe.
    »Es wird natürlich nur im Beisein eines amerikanischen Soldaten möglich sein, wenn überhaupt.«
    »Wie im Zuchthaus!« schrie der Berliner. »Sprecherlaubnis mit 'n Wachtmeester im Rücken. Kinder, wer's noch nicht kann – hier kannste 's Kotzen lernen!«
    »Schließlich haben wir den Krieg verloren, Jungs«, sagte Dr. Mainetti laut. Der Wastl Feininger hob abwehrend und kopfschüttelnd beide Arme.
    »I net! I hob net ang'fangn! G'holt ham's mi, von heut auf morgen!«
    »Ich werde alles versuchen, Schwabe.« Lisa Mainetti legte ihre Hand unter Schwabes Kinn und hob sein verstümmeltes Gesicht mit dem neuen Nasenknochengerüst empor. In seinen Augen sammelten sich die Tränen und rannen lautlos durch die Narbengräben zum Mund. »Sie sind doch ein Mann, Schwabe, und keine Heulsuse!« sagte sie grob. »Es wird sich schon eine Möglichkeit finden. Schon vorher flennen – Himmel, was seid ihr bloß für große Kinder!«
    Schwabe schluckte und legte beide Hände auf sein Gesicht, um die Tränen zu

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