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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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oder Trittbrettern. Zum erstenmal will sie ihren Mann sehen, den sie zum letztenmal geküßt hat, als er mit blonden Haaren und einem lachenden Gesicht vom Urlaub zurückfuhr. Und nun wird sie ihn wiedersehen – ein glattgeschabtes Gesicht ohne Lippen, ohne Nase, mit abgerissenen Ohren und vernarbten und verkrusteten Wangen – eine Fratze nur, Major Braddock. Und sie kommt über Hunderte von Kilometern, um dieser Fratze ihre Liebe zu sagen. – Rührt das nicht an Ihr Herz, Major? Sind da nicht alle Befehle nur noch leeres Papier? Können Sie da sagen: ›Nicht erlaubt!‹, ohne sich vor sich selbst zu schämen?«
    James Braddock stand am Fenster, mit dem Rücken zu Lisa und Professor Rusch. Seine Finger trommelten gegen die Scheibe, ein rasender, monotoner Rhythmus.
    »Ich möchte den Mann sehen«, sagte Braddock rauh. Er drehte sich um und ging rasch an Lisa Mainetti vorbei aus dem Zimmer.
    »Ich gratuliere«, sagte Professor Rusch dumpf.
    Mit wirbelnden Beinen folgte Lisa dem Major, sie holte ihn auf dem Treppenhaus ein und hielt ihn am Ärmel fest.
    »Zimmer 14, Major«, sagte sie atemlos.
    Braddock blieb stehen. »Da lag doch Sergeant Rondey!«
    »Ja, dieses Zimmer ist es. Erich Schwabe heißt der Mann. Wenn Sie ins Zimmer kommen und alle ansehen, werden Sie sofort wissen, wen ich meine.«
    Braddock ging den Flur entlang, Lisa folgte ihm. Der Major riß die Tür von Zimmer 14 auf. Fritz Adam schrie »Achtung!« und gleich hinterher: »Good day, Major!« Die sechs Mann standen stramm, sogar Kaspar Bloch, der eigentlich das »Achtung« nicht hören durfte.
    Braddocks Blick fiel sofort auf Schwabe. Das ist er, dachte er, und er spürte, wie eine leichte Gänsehaut über seinen Rücken lief. Zu ihm kommt eine Frau, dachte er weiter, und diese Frau will und soll ihn lieben. Dieses Gesicht, das aussieht wie eine uralte, verwitterte, rissige wurmstichige Holzplatte. O Gott, wenn es wirklich diese Frau gibt. Man sollte sie verwöhnen mit allen Herrlichkeiten, die unsere Welt bereithält.
    »Sie sind Erich Schwabe?« fragte Braddock mit ausgetrocknetem Hals. In Schwabes Augen sprang ein Funke Angst. Er trat einen Schritt vor und nahm stramme Haltung an.
    »Ja, Herr Major.«
    »Sie wissen, daß Sie Kriegsgefangener sind?«
    »Ja, Herr Major.« Schwabes Stimme brach. Sein Gesicht zuckte. Braddock sah zur Seite. Einen Whisky, dachte er. Himmel, jetzt einen Whisky. Ich habe ihn noch nie nötiger gebraucht.
    »Sie haben den Krieg nicht gewollt, ich habe ihn nicht gewollt. Sie haben ihn verloren, wir haben ihn gewonnen. Das ist ein beliebtes Spiel mit Millionen von Menschen, und merkwürdigerweise machen die Menschen mit. Vielleicht ist es Massenidiotie, ich weiß es nicht. Ich mache ja auch mit.«
    »Meine Frau, Herr Major …«, stammelte Schwabe.
    »Dr. Mainetti wird Ihnen alles weitere sagen. Kommen Sie mal mit.« Braddock trat auf den Flur hinaus, und Schwabe folgte ihm. Mit dem Fuß trat Braddock die Tür zu. Sie waren allein auf dem Gang. Lisa war im Zimmer geblieben.
    »Schwabe«, sagte Braddock und schluckte. »Wie alt sind Sie?«
    »Bald 27 Jahre, Herr Major.«
    »Sie könnten fast mein Sohn sein.« Braddock nestelte an den Knöpfen seiner Uniform. »Ich kann nicht sagen: Sie haben ein ehrliches Gesicht.«
    »Nein, gewiß nicht, das kann man nicht mehr sagen«, stotterte Schwabe.
    »Aber Ihre Augen sehe ich, Schwabe. Es sind für mich jetzt keine deutschen Augen mehr, sondern einfach die Augen eines Menschen. Sie verstehen mich?«
    »Ja, Herr Major«, sagte Schwabe leise.
    »Ich werde erlauben, daß Sie Ihre Frau sehen.«
    »Herr Major.« Durch Schwabes Körper lief ein Zittern. »Ich … ich …«
    »Sie können das Lazarett verlassen. Urlaub auf Ehrenwort. Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, Schwabe! Einen Tag – vom Nachmittag bis zum nächsten Morgen um 10 Uhr.«
    Braddock streckte seine Hand hin. Schwabes Hand tastete vor und lag bebend in Braddocks Fingern.
    »Mein Ehrenwort, Herr Major«, stammelte er. »Mein Ehrenwort … ich …«
    Dann brach er zusammen. Sein Kopf sank auf die Schulter des amerikanischen Majors, er weinte haltlos. Steif und unbeweglich stand Major Braddock, mit hängenden Armen und versteinertem Gesicht. Aber er wehrte ihn nicht ab. Er blieb so stehen und ließ den deutschen Soldaten an seiner Schulter weinen.
    Es könnte mein Sohn sein, dachte er nur. Mein Gott, wenn Percy kein Gesicht mehr hätte.
    Drei Tage brauchte Ursula, um nach Bernegg zu kommen.
    Auf den Puffern eines Güterzuges fuhr

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