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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Märchenburg.
    Ein verwunschenes Schloß für gesichtslose Wesen.
    Seit dem Brief Petra Wolfachs wartete Walter Hertz geduldig jeden Tag auf ein neues Zeichen dieser aussichtslosen Liebe.
    Manchmal stand er stundenlang am Fenster und sah nach Bernegg hinab. Dort steht sie jetzt und sieht zu mir hinauf, dachte er. Vielleicht hat sie mir geschrieben, viele Briefe, und sie liegen dort unten bei den Amerikanern, und sie geben sie nicht weiter. Oder sie ist gar nicht mehr in Bernegg, geflüchtet mit den Eltern, als die Panzerspitzen von Würzburg her kamen. War Hubert Wolfach nicht Fabrikant von Kriegsmaterial? Zubringerindustrie, wie man das nannte. Was er herstellte, wußte Hertz nicht, aber es mußten feinmechanische Geräte sein. Damals, am Kamin bei dem Glas Rotwein, hatte Hubert Wolfach gesagt: »Wenn ich nicht will, schießen die mit der Flak um die Ecke. Gezielt wird nur mit Wolfach!« Und er hatte gelacht, denn er sah es als einen köstlichen Witz an.
    Bestimmt sind sie geflohen, dachte Walter Hertz. Irgend etwas hätte ich sonst längst gehört von Petra. Und dann half er sich über seine Enttäuschung und seinen leisen inneren Schmerz hinweg mit dem ständigen Vorsagen: Es wäre doch nichts geworden, Walter Hertz! Es war nur eine Episode, ein Erlebnis am Rande des Kriegs, ein flüchtiger Anhauch des Glücks, weiter nichts. Was hat ein Mensch wie du, ein Mensch mit einer eingedrückten Gesichtshälfte, zu suchen in der Welt dieser Menschen, die bis dahin nichts gekannt hatten als Reichtum und Zufriedenheit? Es gibt da keinen Platz für dich.
    Fritz Adam und Schwester Dora Graff lebten wie ein glückliches Brautpaar. Sie gingen im Schloßpark spazieren, saßen am Teich und verloren sich in Zukunftsplänen.
    »Ich werde weiterstudieren«, sagte Adam. »Woher ich das Geld nehme, weiß ich noch nicht. Aber es wird sich schon etwas finden. Man kann Nachhilfeunterricht geben, ich bin ein guter Mathematiker. Oder ich kann in den Semesterferien in einer Fabrik arbeiten.«
    »Es wird in Deutschland keine Fabrik mehr geben, Liebster.« Dora Graff strich ihm zärtlich über das verbrannte Gesicht. »Aber Krankenhäuser gibt es immer. Ich werde eine Stelle als Schwester annehmen. Eine Doppelstelle – in dem einen Haus als Tagesschwester, in einem anderen als Nachtschwester.«
    »Und wann willst du schlafen!«
    »Zwischendurch. Ein paar Stunden genügen.«
    »Das lasse ich nie und nimmer zu. Es wird schon eine Möglichkeit geben, daß ich mir die Semestergelder verdienen kann.«
    »Und die Zimmermiete? Essen und Trinken?«
    »Und wenn ich nachts Trümmer wegräume«, sagte Adam verbissen.
    »Auch das geht nicht. Um 22 Uhr ist Sperrstunde.«
    »Es wird nicht immer so bleiben.«
    »Wissen wir es? In Bernegg stehen die Frauen für 100 Gramm Margarine ab morgens 4 Uhr an. Und nebenan in der Schule haben die Amerikaner gestern einen ganzen Kessel mit flüssigem Fett in eine Grube geschüttet. Einen ganzen Kessel, der für Bernegg zwei Tage Paradies bedeutet hätte. Pommes frites hatten sie gemacht. Und als sie das Fett wegschütteten, standen am Zaun des Schulhofs über dreißig Frauen und starrten stumm auf die fettige Grube.«
    »Sie haben ihren Befehl«, sagte Fritz Adam langsam. »Ich weiß, daß die Kinder in Polen Regenwürmer sammelten und sie rösteten, solchen Hunger hatten sie. Und wir hatten die Lager voll und nahmen aus den Scheunen der polnischen Bauern das Letzte heraus.« Er legte den Kopf in Dora Graffs Schoß und starrte hinauf in den blauen Frühlingshimmel. »Es gibt kein größeres Untier als den losgelassenen Menschen.«
    Dora Graff schwieg. Sie hatte vor einigen Tagen mit Professor Rusch und Dr. Mainetti gesprochen. Sie hatte erzählt, daß Fritz Adam und sie heiraten wollen, gleich, nachdem die sinnlose Ehe Adams geschieden sein würde. Professor Rusch hatte ihr versprochen, für eine gute Schwesternstelle zu sorgen. »Wenn man mich weiterarbeiten läßt«, hatte er gesagt, »nehme ich Sie mit, Dora. Sie können sich darauf verlassen.« Das war ein großer Trost und eine Hoffnung für die Zukunft.
    »Wir werden es schaffen, Fritz«, sagte sie und küßte seine Stirn. »Alles fängt ja wieder von vorn an, es geht allen gleich.«
    Der Wastl Feininger hatte andere Sorgen. Sein Hof bei Berchtesgaden war unzerstört. Was noch an Schweinen und Großvieh übriggeblieben war, wußte er nicht. Aber zu hungern brauchte die Resi nicht. Da war der Garten, da waren die Obstbäume, und auch wenn sie allein war auf dem

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