Das geschenkte Gesicht
alles«, sagte Schwabe und beugte sich aus dem Fenster. Auf den Wegen gingen einige Verwundete spazieren, ein Arbeitskommando kehrte mit Reisigbesen das Herbstlaub von den Wiesen und fuhr es mit Handwagen ab. Die Gesichter waren mit Leukoplaststreifen überklebt, sie sahen eher clownhaft als ekelerregend aus, eher wie eine Erinnerung an eine fröhliche Kirchweih.
Sie haben recht, es ist nicht so schlimm, dachte Schwabe und wandte sich ins Zimmer zurück. Eine freudige Hoffnung war in ihm. Er legte sich wieder ins Bett und nahm im Liegen Haltung an, als Dr. Lisa Mainetti zur Morgenvisite kam.
»Das lassen Sie mal sein«, sagte sie und deutete auf die angelegten Arme Schwabes. »Für Sie ist der Krieg aus. Sie haben genug gegeben für Führer und Vaterland.«
Sie setzte sich an sein Bett, kontrollierte den Verband und sah Schwabe nachdenklich und fragend an. Dann nahm sie einen Block und Bleistift und schob beides Schwabe hin.
»Sie sind aufgestanden, nicht wahr?«
»Frau Doktor, ich … ich wollte nur …«, kritzelte Schwabe auf das Papier. Seine Hand zitterte …
»Sie wollten nur einen Spiegel suchen oder in die Fensterscheibe sehen.«
»Ja«, schrieb er.
»Aber warum denn? Haben Sie noch nie einen verbundenen Kopf gesehen?«
»Und was ist unter dem Verband, Frau Doktor?«
»Ihr Gesicht …«
»Aber nicht mehr ganz, nicht wahr?«
»Natürlich nicht. Sonst trügen Sie ja keinen Verband.«
»Und was … was fehlt, Frau Doktor?«
»Fehlt? Wer spricht hier von fehlen! Ein bißchen ramponiert ist alles. Haben Sie schon einmal einen Boxer gesehen, der 15 Runden lang Dresche bekommen hat?«
»Ja, aber …«
»Na also. Was heißt hier aber?«
»Eine Mine unter einem Schlitten ist kein Boxkampf, Frau Doktor …«
»In sechs Wochen werden Sie in ein anderes Zimmer kommen, zusammen mit sechs Kameraden. Sie müssen nur Vertrauen haben und fest daran glauben, daß wir alles tun, um Sie für das spätere Leben wieder zurechtzuflicken. Alle anderen Gedanken sind Mist.«
Schwabes Augen lächelten. »Sie reden wie ein Landser. Sicherlich können Sie auch fluchen.«
»Und wie!« sagte Lisa Mainetti. »Daß die Wände wackeln, mein Lieber! Und nun setzen Sie sich hin und schreiben Ihrer Frau ein paar Zeilen, da es mit dem Schreiben so gut geht. Oder möchten Sie erst Ihrer Mutter schreiben?«
Schwabe schrieb.
»Aber niemand soll kommen!«
»Auch Ihre Mutter nicht?«
Erich Schwabe wehrte mit der Hand ab. Erst muß ich wissen, wie ich aussehe, dachte er. Sie sollen nicht erschrecken, wenn sie mich sehen. In zwei oder drei Monaten werden es vielleicht nur noch ein paar Narben sein, und Ursula wird mit den Fingerspitzen darüberstreicheln und sagen: Mein armer, armer Erich … hat es weh getan …? Und er würde lächeln und sagen: Nicht der Rede wert. Macht doch ein Gesicht interessant, was, die Narben?
Als er allein war, schrieb er an seine Mutter.
»Mein liebes Muttchen!
Ich bin wieder einmal verwundet. Nun ist's das achtemal. Aber Du siehst: Unkraut vergeht nicht. Ich bin in einem deutschen Lazarett, es geht mir gut, ich esse kräftig …«
Hier stockte er und dachte an die intravenösen Traubenzuckerinjektionen und Nährklistiere, die er täglich bekam.
»… und in zwei Monaten werde ich so weit hergestellt sein, daß ich zu Euch auf Urlaub komme oder Ihr zu mir kommen könnt. Macht Euch gar keine Sorgen um mich. An Ursel schreibe ich extra. Ich küsse Dich, Muttchen, Dein Erich.«
Als er den Brief geschrieben hatte, legte er sich zurück und starrte an die Decke. Ein Zwiespalt war in ihm. Wenn es nicht so schlimm war, warum haben sie dann alle Spiegel weggenommen, dachte er. Warum haben sie Milchglasscheiben? Wir haben im Krieg schon anderes gesehen als ein verschrammtes Gesicht. Irgend etwas stimmt doch hier nicht …
Sechs Zimmer weiter saß Dr. Lisa Mainetti mit ihrem ersten Untersuchungsprotokoll dem Chefarzt gegenüber. Professor Rusch hörte zu, wie sie mit knappen Worten berichtete.
»Wie lange, denkst du, wird es dauern, bis wir den Schwabe wieder menschlich machen?« fragte er, als sie schwieg.
»Das wird kaum möglich sein …«, sagte sie leise.
»Ich meine, bis er so aussieht, daß kein Hund mehr vor ihm erschrickt …«
»Mit allen Deckungen und Plastiken, die nötig sind, mit allen Korrekturen und Ausscheidungen – mindestens vier Jahre.« Sie nahm das Protokoll und legte es zurück in ihre Stationsmappe. »Und auch dann wird er noch immer aussehen wie eine Alraunwurzel.«
»Du
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