Das geschenkte Gesicht
überhaupt kein Kinn mehr!«
Aber es gelang. Der eingewachsene Brustlappen verhielt sich fortan neutral. Das Kinn Theo Baums wurde schön und rund. Als er zur ambulanten Behandlung nach Hause entlassen wurde, kam sich die Stube B/14 verwaist vor.
»Immer reißt et uns de Besten von da Seite«, sagte Paul Zwerch melancholisch. »Wer wird uns unseren Theo ersetzen …? Jetzt fehlt uns eener, dem se ne Hinterbacke als Wange verpflanzt haben. Kinder, der war' 'n Geschäft. Einmal tätscheln – fünf lange Kippen!«
Sie wurden enttäuscht. Erich Schwabe kam auf die Stube.
Sechs Wochen hatte Schwabe auf den Augenblick gewartet, in dem er außer den Schwestern, Ärzten und Sanitätern anderen Menschen begegnen würde. An ihren Mienen würde er erkennen, wie er aussah, und sie würden ihm auch sagen, wenn er sie darum anbettelte: Das fehlt in deinem Gesicht, und da siehst du noch verbogen aus. Und er konnte sie fragen: Sagt, Kameraden – würdet ihr an meiner Stelle, so wie ich jetzt aussehe, jetzt schon meine Frau kommen lassen?
Nun war es endlich soweit. Nach fünf Operationen, in denen Professor Rusch und Dr. Lisa Mainetti ihm Weichteillappen in das Gesicht transplantiert hatten und Oberarzt Dr. Urban die Bemerkung fallenließ: »Rassisch gesehen, ist Ihre Physiognomie eine Novität in Günthers Rassenalbum …«, was Schwabe nicht verstand, wurde er von der neuen Stationsschwester Dora Graff, einer blonden 23jährigen Rote-Kreuz-Schwester, aus seinem Einzelzimmer abgeholt und durch einen langen Flur in die Stube B/14 geführt.
Wie bei den anderen Gesichtsverletzten, die er schon vom Fenster aus hatte im Garten arbeiten sehen und deren Anblick ihn beruhigt hatte, war auch sein Gesicht jetzt mit Leukoplaststreifen überklebt. Nur über das linke Ohr hatte man noch Binden gewickelt, weil die Stelle, wo die Ohrmuschel abgerissen war, näßte.
Erich Schwabe stand in der Tür der Stube B/14 und sah zu seinen neuen Kameraden hinüber. Sie saßen an einem langen Tisch am Milchglasfenster, spielten Schach oder lasen und hoben nun die Köpfe, als die Tür aufging.
Wie sehen sie mich an, forschte Schwabe in den narbigen, beklebten Gesichtern. Sind sie entsetzt? Haben sie Mitleid? Empfinden sie Ekel? Dort, der Junge, dem von der Schläfe bis zum Kinn eine runde Fleischwurst über das ganze Gesicht hängt, sieht er schrecklicher aus als ich? Soviel weiß ich schon … ein Rollappen ist das. Wenn er angewachsen ist, wird er nachoperiert und geformt. Und dort, der Mann, der gerade die Skatkarten mischt … statt einer Nase klebt ihm ein dicker Fleischkloß im Gesicht. Rundstiellappen nennen sie das. Aus dem Halsbereich wird er genommen und dann weiter auf die Nase verpflanzt. Dr. Lisa Mainetti hatte ihm das alles erklärt, aber er hatte nur die Hälfte begriffen.
»Wie Sie's machen, Frau Doktor, ist gleich … nur wieder vernünftig aussehen will ich …«
»Komm 'rein!« sagte der Junge mit dem großen Rollappen. »Ich heiße Walter Hertz.«
Unteroffizier Feininger musterte den Neuen und grinste Schwester Dora breit an. Seine rechte Stirnseite war eingedrückt und zertrümmert gewesen. Durch Knochenüberpflanzungen und Weichteildeckungen hatte man ihn so weit wiederhergestellt, daß er als einziger der Stube B/14 samstags nach Bernegg ins Kino gehen konnte, mit einem Kopfverband wie ein Turban. ›Pascha Wastl‹ wurde daraufhin sein offizieller Name im Lazarett, zumal Feininger überall erzählte, die Mädchen seien verrückt auf ihn. »Wenn ich denen sage, daß ich türkische Liebe studiert hab', fall'n s' reihenweise um …«, berichtete er. Seinen Verband hatte er allerdings nie vor den Mädchen abgenommen … »von wegen der Ästhetik, ihr Hammel!«
»Kriegt der auch 'n neues Kinn?« fragte Feininger. »Sag's der Frau Doktor … nur aus der Brust …«
Erich Schwabe versuchte zu lächeln. Es ging nicht, denn er hatte einen Mundspanner im Gaumen, um ein Zusammenziehen der Weichteillappen, die man überpflanzt hatte, zu verhindern. Nach wie vor wurde er durch Sonden ernährt, aber es ging schon wesentlich besser, nachdem die inneren Wunden in der Mundhöhle verheilt waren. Sogar durchgedrehtes Fleisch, mit Bouillon verdünnt, konnte er essen. Und sich etwas verständlich machen.
Sie sind nicht entsetzt, dachte er zufrieden. Ich sehe also nicht so schrecklich aus. Er wußte nicht, daß Dr. Lisa Mainetti kurz vorher in der Stube B/14 gewesen war und gesagt hatte: »Gleich kommt ein neuer Patient. Reißt euch zusammen
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