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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Erich!« würden sie rufen. »Erich! Erich!«
    Es war schön, nach Haus zu kommen.
    Eine Schwester des Roten Kreuzes weckte ihn aus seinen Gedanken. Sie tippte ihn auf die Schulter. »Wollen Sie eine Tasse heißen Kaffee? Kommen Sie mit in die Baracke.«
    Schwabe schüttelte den Kopf. »Danke, Schwester, danke. Aber mein Zug kommt ja gleich.«
    »Die haben immer Verspätungen. Mindestens 20 Minuten. Sie sehen ganz erfroren aus. Kommen Sie mit und wärmen Sie sich auf.«
    »Danke, Schwester.«
    Erich Schwabe nahm sein Gepäck auf und ging der Rotkreuzschwester nach zu einer Baracke am Ende des Bahnsteigs. Deutsches Rotes Kreuz, stand auf einem Schild neben der Tür. Caritas. Evangelisches Hilfswerk.
    Ein überheizter, großer, schmaler Raum. Bankreihen an den Holzwänden. Schwestern an rohen Tischen. Ein Herd mit einem Aluminiumkessel voller Malzkaffee. Blechbecher und Steinguttassen, auf denen noch stand ›Deutsche Arbeitsfront – KdF‹. Auf den Bänken andere Landser und frierende Zivilisten. Sie beachteten Schwabe nicht. – Sie schlürften ihren heißen Kaffee und waren dankbar für die Wärme, die sie langsam und wohltuend durchdrang.
    Schwabe erhielt seinen Becher und trank ihn in kleinen Schlucken leer. Der Wechsel von harter Kälte zu überhöhter Wärme und auch der heiße Kaffee trieben ihm Schweiß aus den Poren. Er stand wieder von der Bank auf und lächelte der Schwester dankbar zu.
    »Es tut mir leid, Schwester«, sagte Schwabe. »Ich muß wieder 'raus. Ich schwitze sonst die Verbände durch, und das ist nicht gut. Nachher gefriert das alles, und meine Haut ist noch so empfindlich. Sie verstehen …«
    Dann stand er wieder draußen auf dem zugigen Bahnsteig in der Kälte und dem Wind, der den Schnee über die Wartenden trieb. Mit dem Rücken stemmte er sich gegen den Windzug und drückte das Gesicht wieder tief in den Mantel.
    Endlich lief der Zug aus München ein. Erich Schwabe sah die Wagen entlang. Sie waren überfüllt. In den Gängen und Vorräumen standen die Menschen eingekeilt. Niemand stieg aus, als habe jeder Angst, seinen Platz zu verlieren. Schwabe lief die Wagen entlang, riß die Türen auf, versuchte einzusteigen. Die Menschen quollen ihm entgegen, eine feindliche Masse, die ihn zurückdrängte.
    »Lassen Sie mich doch 'rein«, rief Schwabe. »Ein Mann wird doch noch 'reingehen.«
    »Besetzt«, schrie man ihm entgegen und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Was ist schon ein entlassener Mensch ohne Gesicht.
    Schwabe rannte den ganzen Zug entlang. Überall warf man ihm die Türen zu. In einigen Wagen hielt man sie von innen fest, wenn er sie aufreißen wollte, und grinste ihn durch das Fenster an.
    »Saubande«, schrie Schwabe. »Ihr Schweine!«
    Dann gab er es auf. Mit schlaffen Armen stand er im wirbelnden Schnee auf dem Bahnsteig und starrte hoffnungslos den Zug entlang. Es war der letzte, der nächste fuhr erst am nächsten Morgen um 7 Uhr, und er würde genauso überfüllt sein.
    Die erste Begegnung mit dem Leben. In Schwabe stiegen Ekel und Verachtung hoch. Er wandte sich ab und wollte gehen.
    Da ergriff ihn jemand von hinten am Ärmel. »Kommen Sie«, sagte die Rotkreuzschwester von vorhin. »Es gibt hier ein Abteil für Schwerverletzte. Kommen Sie, ich mache Ihnen schon noch einen Platz frei.«
    Es war wie ein Wunder, daß Schwabe wirklich in dem reservierten, aber ebenfalls von nicht wankenden Menschen überfüllten Abteil einen Platz bekam. Fast mit Gewalt und nur mit der Drohung, die Polizei und die amerikanische MP zu holen, räumte die kleine, energische Schwester einen Platz.
    »Gute Fahrt«, rief sie und sprang aus dem anfahrenden Zug.
    Um Schwabe stand eine riesige Mauer schweigender, feindlicher Menschen. Sie starrte ihn hohlwangig an wie ein hungriges Untier.
    »Das ist richtig«, sagte jemand aus der Mauer. »Erst immer durchhalten, bis alles im Eimer ist, und jetzt noch Sonderrechte beanspruchen.«
    Schwabe schwieg. Er senkte nur den Kopf.
    Das sind die Menschen, mit denen ich nun leben muß, dachte er. Das sind Deutsche, die einen Krieg verloren haben.
    Und wieder stieg es bitter in seinem Hals auf. Enttäuschung, Verachtung, Ekel.
    Es war spätabends, als der Zug im Kölner Hauptbahnhof einlief.
    Erich Schwabe stand am Fenster und preßte das leukoplastverklebte Gesicht gegen die schmutzige, gefrorene Scheibe. Der Bahnsteig war leer. Nur einige Beamte liefen herum, trübe Birnen brannten in notdürftigen Lampen. Die Türme des Doms ragten in den dunklen, kalten

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