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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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denn?«
    »Er ist Morphinist …«, sagte Lisa. »Er stiehlt es im OP. Ich habe ihn dabei überrascht …«
    Frau Hedwig Schwabe wohnte im Keller des Hauses Horst-Wessel-Straße 4. Es war einmal ein schönes, stattliches Haus gewesen, mit einer verzierten Sandsteinfassade, hohen Fenstern und einem ausgebauten Schieferdach. Der Glasermeister Schwabe hatte es 1928 gebaut, zwei Stockwerke vermietet und selbst die untere Etage bewohnt. Ein gutbürgerliches, gepflegtes, solides Haus mit guten Kellern, die man damals baute, ohne zu ahnen, daß sie einmal das Leben retten könnten.
    Im Sommer 1944 gab es dann von diesem Haus Horst-Wessel-Straße 4 nur noch eine halbe Fassade, hinter der ein riesiger Trümmerberg lag, der zwei Wochen lang noch brannte und schwelte. Die massiven Keller hatten standgehalten, und hier wohnte nun die Witwe Hedwig Schwabe in zwei wohnlich hergerichteten Räumen, bahnte sich jeden Morgen durch die Trümmer ihren Weg zu den Ausgabestellen für Brot, Milch und Margarine und besuchte ihre Schwiegertochter Ursula, die zwei Häuserblocks weiter ebenfalls in einem Kellerraum hauste und die wenigen Habseligkeiten Erich Schwabes bewachte, die man hatte retten können. Eine Briefmarkensammlung war darunter, ein Erbstück vom alten Glasermeister. Niemand wußte, was die bunten Papierchen wert waren. »Wenn's kracht, mußt du die Sammlung als erstes retten!« hatte Erich Schwabe gesagt, bevor er wieder nach Rußland fuhr. »Kann sein, daß wir sie noch einmal brauchen.«
    An diesem Vormittag war Frau Hedwig Schwabe in einen großen Zwiespalt geraten. Erich hatte geschrieben! Endlich wußte man genau, wie er verwundet war. Im Gesicht, schrieb er. Nur ein paar Schrammen. Frau Schwabe las diese Zeilen immer wieder durch, und sie war glücklich und fast atemlos vor Freude, daß es nur ein paar Schrammen waren. Die verheilen schnell, dachte sie, als sie den Brief wieder in den Umschlag steckte. Wie oft ist der Erich als Junge hingefallen, einmal – er war, sie dachte angestrengt nach, ja, er war neun Jahre alt – war er mit dem Roller gestürzt und hatte sich die Stirn und die Nase aufgeschabt. Schlimm sah es erst aus. Aber nach ein paar Wochen waren nur ein paar helle Hautflecken übriggeblieben, und auch diese verschwanden völlig mit den Monaten.
    »Die Hauptsache, Erich lebt!« sagte Frau Schwabe zu ihrer Nachbarin im Nebenkeller. Man besuchte sich tagsüber durch die Kellerdurchbrüche und trank zusammen eine Tasse Muckefuck, wie der Ersatzkaffee genannt wurde, und aß dazu ein glitschiges Gebäck, das aus Griesmehl, Ersatzmarmelade und Butterschmalz bestand. Immerhin war es ein Kaffeekränzchen, und Frau Schwabe las den Brief vor und freute sich, wie sich nur eine Mutter freuen kann, deren Sohn lebend zurückgekommen ist.
    Nur eines bereitete Hedwig Schwabe Sorge: Warum sollte sie Ursula nichts sagen? Warum sollte sie allein nach Schloß Bernegg kommen? War etwas zwischen Erich und Ursula, was sie nicht wußte? Gewiß, Ursel war hübsch, und die Männer drehten sich nach ihr um, aber sie war dem Erich treu geblieben in all den einsamen Jahren. Frau Schwabe mußte es anerkennen, denn wer achtet mehr auf die Moral als die Mutter eines verheirateten Sohnes bei der Schwiegertochter?
    Es war ein großer Konflikt in Frau Schwabe, als sie gegen Mittag zu Ursula ging, um nach ihr zu sehen.
    Ursula Schwabe saß in ihrem Kellerraum und schälte Kartoffeln. Es hatte eine Sonderzuteilung gegeben, schrumpelige, fleckige Kartoffeln, aber sie schmeckten noch immer besser als die getrockneten Kartoffelscheiben, die man im Wasser aufquellen lassen mußte und die in der Suppe rochen wie gekochter Moder. Sie war ein nettes Mädchen mit langen blonden Haaren, einer Stupsnase, wasserblauen Augen, einem vollen Mund und der glatten, mit blondem Flaum überzogenen, rosigen Haut ihrer 24 Jahre. Als sie Erich Schwabe heiratete, war er ihr erster Mann. Das war etwas, was Erich unbändig stolz machte und was er bei seinen Kameraden auch erzählte. »Auf die Ursel kann ich mich verlassen!« sagte er immer. »Die sieht keinen anderen Mann! Ich war der erste, und ich bin der letzte!« Davon hielten ihn auch die Flachsereien seiner Kameraden nicht ab, die Ursula eine ›verklemmte Natur‹ nannten. Schwabe lächelte nur und schnitt allen die Rede ab: »Ich weiß, was ich habe! Ihr könnt mich alle kreuzweise …«
    »Guten Tag, Mutter!« sagte Ursula und rückte auf dem Luftschutzbett zur Seite. »Hast du Kartoffeln bekommen?«
    »Nein.

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