Das geschenkte Gesicht
dem Ausgang zu, über die von Schwabe säuberlich geharkten Kieswege.
Bis zur Dunkelheit blieb er im Garten stehen und ließ sein Essen, das ihm von der Krankenhausküche auf sein Zimmer gebracht wurde, kalt werden. Als der Mond durch die Bäume brach, ging er am Teich spazieren, immer rund herum wie ein Esel in einer Oase, der aus dem Wüstenbrunnen Wasser ziehen muß.
Rusch, Lisa und Karlheinz Petsch beobachteten ihn vom Fenster des Chefzimmers aus. Petsch war erregt und nagte an der Unterlippe.
»Sie müssen ihn zur Vernunft bringen, Frau Doktor«, sagte er flehend. »Wie lange soll das noch so weitergehen? Ich möchte sagen, es ist fast ein Verbrechen an Ursula. Und das Kind? ›Alle haben einen Papi, warum ich nicht?‹ hat es gestern zu mir gesagt. ›Kannst du nicht mein Papi sein?‹ – Frau Doktor, das Herz dreht sich einem 'rum.«
»Er reagiert auf Argumente nicht mehr.« Professor Rusch wandte sich vom Fenster weg und trank in kleinen schnellen Schlucken sein Glas Cognac leer. »Man kann ihm mit seelischen Regungen nicht beikommen, es ist, als habe er überhaupt kein Gefühl mehr für menschliche Belange. Er ist irgendwie ausgebrannt, so dumm das klingt. Er ist seelisch tot. Er hat seine Blumen, seine Pflanzen, seine Tiere, sein zahmes Reh – es ist wie eine mittelalterliche Geschichte: Der Einsiedler auf dem Berg. Ich glaube nicht, daß man ihn locken kann mit großen Plänen oder mit Hinweisen auf die seelische Marterung seiner Frau und seiner Mutter. Dann schaltet er einfach ab.«
»Aber so kann es doch nicht weitergehen«, rief Petsch. »Langsam aber sicher geht Ursula zugrunde. Und es wird von Tag zu Tag schlimmer, je mehr das Kind denken lernt und Fragen stellt.«
Lisa schwieg. Ein paarmal sah Rusch zu seiner Frau hinüber, und auch Karlheinz Petsch suchte stumm ihren Rat. Aber sie sagte nichts. Sie sah aus dem Fenster hinaus auf den im Mondschein herumgehenden einsamen Mann, sah, wie seine dunkle Silhouette sich im Wasser des Teiches flimmernd spiegelte und wie das Mondlicht silbern über die Schultern floß und über die blonden Haare, die jetzt weiß leuchteten wie Silberfäden.
»Weißt du etwas?« sprach Rusch seine Frau direkt an.
Lisa zuckte zurück, wie aus weitentfernten Gedanken gerissen.
»Ich? Nein. Wieso ich? Wir bekommen ab Montag eine neue Putzfrau.«
Petsch starrte Rusch verzweifelt an. »Wir denken an ein unlösbares Problem, und jetzt heißt es, es kommt eine neue Putzfrau. Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben, Frau Doktor?«
»Eine gute Putzfrau ist sehr wichtig.«
»Zum Teufel mit Ihrer Putzfrau«, schrie Petsch. Nachdem er es geschrien hatte, sah er Rusch an. »Die Nerven«, sagte er stockend. »Verdammt, ich habe auch nur Nerven. Und das hier haut mich um. Sie müssen verzeihen, es war nicht so gemeint. Es ist nur – weil ich ja irgendwie mitschuldig bin. Und ich kann nun nicht helfen. Das ist scheußlich, Frau Doktor.«
Lisa nickte und schloß das Fenster. Mit einem festen Ruck zog sie die Gardinen vor, als wolle sie den Vorhang endgültig über die Szene ziehen.
»Warten wir die Putzfrau ab«, sagte sie.
Rusch sah Lisa nachdenklich an. Er wußte nicht, welchen Sinn die Worte seiner Frau hatten, aber er wußte, daß sie nicht aus Interesselosigkeit gesprochen worden waren.
»Wann kommt sie?« fragte er sogar.
»Ab Montag.«
»Die Putzfrau?« brüllte Petsch.
»Ja. Und es könnte sich vieles ändern.«
»Vielleicht bin ich ein Idiot«, sagte Petsch, »aber jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
»Trösten Sie sich.« Professor Rusch lachte gequält. »Ich auch nicht.«
Am Montag, morgens um 8 Uhr, erschien die Putzfrau auf Schloß Bernegg. Es war ein herrlicher Sommertag mit einem wolkenlosen Himmel und einer goldenen Sonne. Ein Tag, der heiß zu werden versprach.
Erich Schwabe arbeitete bereits in den Blumenbeeten. Er sprengte sie, bevor die Hitze zu groß wurde.
»Guten Tag«, sagte die neue Putzfrau zu Erich Schwabe. Sie war eine Frau Mitte Dreißig, drall und klein, mit langen braunen Haaren und einem rosigen, runden Gesicht. Sie gab Schwabe die Hand und drückte sie kräftig.
»Guten Tag«, sagte Schwabe. Dann blickte er zur Seite.
Neben der Putzfrau stand ein Kind. Ein kleines, blondlockiges Mädchen. Die großen blauen Augen sahen den Gärtner kritisch an und musterten ihn, ob er ein guter Onkel sei. Das Mädchen trug ein hellblaues kurzes Popelinkleidchen. Es sah aus wie eine zum Leben erwachte Puppe.
»Es ist das Kind einer
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