Das geschenkte Gesicht
ausgenommen waren. Und von wem stammt diese Aussage? Von einem Oberst a.D. Paul Mayrat. Protokolliert bei dessen Antrag auf Pension. Als Zeuge gegengezeichnet von einem Dr. Fred Urban.« Professor Rusch beugte sich etwas vor. »Meine Herren, wenn ich den schweinischen Charakter dieser ›Herren‹ hätte, könnte ich Ihnen jetzt etwas erzählen. Aber wozu? Nur eine Frage: Wo ist dieser Dr. Urban jetzt?«
»Fragen stellen wir, Herr Professor«, antwortete der Vorsitzende der Entnazifizierungskammer steif. »Im übrigen tut dies nichts zur Sache.« Er blätterte in dem Aktenstück. »Sie bestreiten diese Ihnen zur Last gelegte Handlung?«
»Bestreiten? Ich lache darüber.«
»Das ist wohl nicht der richtige Weg der Wahrheitsfindung.« Der Vorsitzende sah Rusch ernst an. »Sie waren PG?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Aus dem gleichen Grunde, aus dem auch Sie nicht PG gewesen sind.«
»Das ist keine Antwort.«
»Aber eine Feststellung.«
Der Vorsitzende blätterte wieder in den Akten. »Wie wir wissen, standen Sie sogar unter dem Verdacht, maßgeblich am Euthanasieprogramm beteiligt gewesen zu sein.«
»Aber meine Herren, das ist doch längst geklärt«, rief Rusch. »Nicht ich – ein mir bekannter Namensvetter. Die Amerikaner haben das bereits vor einem Jahr …«
Der Vorsitzende hob die Hand. »Ja, wir wissen das. Sonst stünden Sie ja auch nicht hier, sondern vor dem Strafrichter. Aber …«
»Es ist lächerlich, dieses ganze Affentheater«, unterbrach ihn Rusch grob. »Entscheiden Sie, wie Sie wollen. Ich werde mir meine künftigen Schritte vorbehalten. Für mich können über 500 Gesichtsverletzte aussagen.«
»Sicherlich«, sagte einer der Beisitzer. Er war dick und gut genährt und trug zur Feier des Tages einen silbergrauen Schlips. »Aber sagen Sie mal, sind diese Gesichtsverletzten nicht einzuordnen in die Gruppe der Kopfverletzten? Und sind nicht die meisten Kopfverletzten ein bißchen plemplem?«
Rusch starrte den Sprecher an, als habe dieser ihn in hohem Bogen angespuckt. Dann wandte er den Blick zu dem Vorsitzenden und sah, daß dieser durchaus nicht empört war, sondern offensichtlich eine Antwort erwartete.
»Guten Tag, meine Herren«, sagte Rusch steif. »Ich kann meine Zeit, die meinen Verletzten gehört, nicht für dummdreiste Hirne opfern.«
Der Vorsitzende sprang auf, als Rusch sich umdrehte und aus dem Zimmer gehen wollte.
»Sie können doch nicht einfach die Spruchkammer verlassen«, rief er.
»Sie sehen, ich kann es. Und ich weigere mich sogar, vor diesem Gremium auch nur noch eine einzige Aussage zu machen.«
»Unerhört«, rief der Vorsitzende. Er wartete, bis Rusch hinter sich die Tür zugeworfen hatte, und sah dann hinüber zu Lisa Rusch, Baumann, Schwabe und den Zuhörern. »Die Kammer wird unter diesen Umständen in Abwesenheit des Geladenen beschließen müssen«, sagte er laut.
Der Mann mit dem Silberschlips schüttelte den Kopf. »Die sind alle gleich, die hohen Tiere. Der Rusch ist wie der Sauerbruch. Der soll in Berlin auch einfach die Spruchkammer verlassen und noch was ganz anderes gesagt haben. Die haben alle 'n großen Tick.«
Eine halbe Stunde lang verhandelte Dr. Lisa Rusch dann für ihren Mann.
»Ihr Gatte hatte bei seiner überragenden Intelligenz wie kein anderer die Möglichkeit zu übersehen, welchem verbrecherischen Regime er diente«, sagte der Vorsitzende. »Und er diente ihm trotz dieser Erkenntnis.«
»Er half den Gesichtsverletzten. Er schuf ihnen neue Gesichter, er holte sie zum Leben zurück. Er war nur Arzt – ist es eine Schuld, Hunderten zu helfen?«
»Wir erkennen das ja auch an, was wollen Sie denn?« Der Vorsitzende klappte das Aktenstück zu. »Wäre dem nicht so, käme Ihr Mann nicht so leicht davon.«
»Weil er operierte?« fragte Lisa starr vor dem Unfaßlichen.
»Weil er dem Regime diente mit seinem Können.«
»Er hat den Ärmsten der Armen, den grausamsten Opfern des Krieges, neue Gesichter geschenkt.«
»Das ist die eine Seite. Gut, aber die andere: Zunächst war er ja wohl mit seinem berühmten Namen ein Aushängeschild für Verbrecher.«
»Dann hätte er also sagen sollen: Nein, ich operiere nicht. Ich lasse diese grausam Verstümmelten so herumlaufen, wie sie sind. Ich kümmere mich einen Dreck um die Menschlichkeit, um meinen ärztlichen Eid, um meine Pflicht. Ich bekämpfe dieses Hitler-Regime, indem ich die Verstümmelten verstümmelt lasse. Ich sabotiere den Staat mit den Fratzen der Gesichtslosen. Wäre es so
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