Das geschenkte Gesicht
Diagnose auf.«
Mit heulendem Motor raste Professor Rusch nach Würzburg, und in das Heulen hinein sang er mit weit aufgerissenem Mund, laut wie ein verliebter Jüngling.
Im Spätherbst kamen zwei Briefe in Bernegg an.
Der eine hatte einen weiten Weg hinter sich. Er war in New Orleans geschrieben und in New York in den Briefkasten gesteckt worden. Als Absender trug er die Anschrift: James Braddock, Präsident der IAFC.
Der andere Brief trug den Absender einer amtlichen deutschen Dienststelle und war an Erich Schwabe adressiert.
Seit zwei Wochen beherbergte das alte Zimmer B/14 einen neuen Gast, der innerhalb von drei Tagen die anderen Patienten so weit mit Beschlag belegt hatte, daß sie bei seinem Erscheinen schon aufjaulten: Paul Zwerch, der Berliner und Kabarettist, ließ sich nachoperieren.
»Aba nur 'n Stück, Frau Doktor«, sagte er bei der ersten Untersuchung zu Lisa. »Die linke Seite vom Unterkiefer springt mir imma aus' m Jelenk, wenn ick so mache.« Der Berliner machte eine Fratze, es knackte leise, und der Unterkiefer stand schief. Er wies mit beiden Zeigefingern auf seinen Mund. »Det is es«, kam es zischend über seine schrägen Lippen.
Die Ärztin renkte mit einem schnellen Griff den Unterkiefer wieder ein und betastete zunächst von außen die Gelenkpfanne.
»Det ham se mir zu kleen jemacht, Frau Doktor«, sagte der Berliner und bewegte den Unterkiefer vorsichtig auf und ab und hin und her. »Det hoppt imma wieda 'raus.«
»Wer hat denn auch gedacht, daß Sie eine so große Fresse haben, Zwerch«, lachte Lisa. »Ich hätte Ihnen sonst eine Kinnlade wie dem Wastl hingebaut. Na, mal sehen, was der Professor meint.«
Paul Zwerch also brachte die Post in Lisas Zimmer. Er hatte sich innerhalb von drei Tagen zum Kalfaktor der Klinik aufgeschwungen. Er wedelte mit dem Brief Braddocks in der Luft, ehe er ihn Lisa gab.
»Der gute, alte Major«, sagte der Berliner. »Wenn ick um die Briefmarken bitten dürfte, Frau Doktor. Ick sammle nämlich.«
Unten in Bernegg riß Schwabe seinen amtlichen Brief auf. Er las ihn, schüttelte den Kopf, las ihn dann noch einmal und gab ihn an Ursula weiter.
»Nein, so was«, sagte sie, als sie das Schreiben gelesen hatte. Es lautete:
»Nach Durchsicht Ihrer Krankenpapiere, die uns vom Versorgungsamt zugeschickt wurden, haben wir festgestellt, daß Sie 2 Jahre und 4 Monate ungerechtfertigt in klinischer, stationärer Behandlung waren.
Die Kau-, Schluck- und Sensibilitäts-Funktionen Ihres Gesichtes waren bereits längst wiederhergestellt. Trotzdem haben Sie sich in stationäre Behandlung des Versorgungskrankenhauses Schloß Bernegg begeben, um rein kosmetische Operationen an sich vornehmen zu lassen. Der Kostenträger des Versorgungskrankenhauses kommt nur für Funktionsherstellungen, nicht aber für kosmetische Operationen auf. Solche Operationen gehen zu Lasten des Patienten. Sie gelten als Privatbehandlung. Wir haben für Ihren Aufenthalt auf Schloß Bernegg für die Zeit von 28 Monaten, bei einem Tagessatz von DM 12.-, eine Summe von DM 10.080,- errechnet. Wir bitten Sie, die Schuldsumme in den nächsten Tagen auf eines unserer unten bezeichneten Konten zu überweisen.
gez. v. Ritter Durchschrift an Herrn Prof. Dr. Rusch.«
Ursula legte den Brief vorsichtig, als sei er aus zerbrechlichem Glas, auf den Tisch zurück. »Was nun?« fragte sie unsicher.
Schwabe starrte vor sich auf den Boden. »Das Leben ist wieder normal geworden«, sagte er dumpf. »Nun kommt der Dank des Vaterlandes auf uns zu.« Er wischte sich über die Augen. »Es ist jetzt ein Verbrechen geworden, ein neues Gesicht zu haben.«
»Aber … aber das kann doch nicht sein, Erich.«
»Hier steht es: Nur Funktionsherstellung. Den Ausdruck kenne ich von früher.« Er zog den Brief an sich und faltete ihn zusammen. »Ich gehe zu Professor Rusch. Fangen wir also wieder von vorne an. Deutschland ist ein ordentliches Land, meine Liebe. Hier ändert sich nichts. Selbst nicht nach sechs Millionen Toten.«
22
Als sich Erich Schwabe bei Professor Rusch melden ließ, wurde er sofort vorgelassen. Lisa saß an der Schmalseite des großen Schreibtisches und füllte Krankenpapiere aus.
»Ich weiß, weshalb Sie kommen«, sagte Rusch, ehe Schwabe den Brief aus der Tasche ziehen konnte. »Das idiotische Schreiben an Sie. Ich habe ja eine Abschrift erhalten. Machen Sie sich keine Sorgen, es wird alles geregelt.«
Schwabe nickte, aber es war ein zaghaftes, ungläubiges Nicken.
»Woher soll ich über 10.000
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